Gefährliche Pflege, am Beispiel von Berlin

Gefähr­li­che Pfle­ge in den Ber­li­ner Kran­ken­häu­sern und der ambu­lan­ten Pflege 

  1. Gefähr­li­che Pfle­ge durch gestie­ge­ne Fall­zah­len je Pfle­ge­kraft in den Kliniken

Die Kran­ken­pfle­ge ist noch deut­li­cher als der ärzt­li­che Bereich lang­fris­tig zum Opfer eines öko­no­mi­schen Ver­ständ­nis­ses von Gesund­heits­ver­sor­gung gewor­den, wie es mit dem Abrechnungs(DRG)-System in der Kran­ken­haus­ver­sor­gung poli­tisch gewollt war. In den letz­ten Jah­ren stie­gen die Pati­en­ten­zah­len in den Kran­ken­häu­sern kon­ti­nu­ier­lich, wäh­rend die Zahl der Beschäf­tig­ten in der Pfle­ge eher gleich­ge­blie­ben ist. Dies führt zu hohen Arbeits­be­las­tun­gen und län­ge­ren Krank­heits­zei­ten bei jenen, die die Fol­gen nicht mehr mit­tra­gen oder dem Druck nicht mehr stand­hal­ten können.

Nach­fol­gen­de Gra­fik der Stif­tung Pati­en­ten­schutz ver­deut­licht die gestie­ge­nen Pati­en­ten­zah­len, zeigt aber auch, dass Ber­lin bei dem Ver­hält­nis von Fall­zahl pro Pfle­ge­kraft neben Nie­der­sach­sen zum trau­ri­gen Spit­zen­rei­ter zählt. Auch die jah­re­lang feh­len­den Inves­ti­ti­ons­leis­tun­gen des Ber­li­ner Senats und die damit ver­bun­de­nen Per­so­nal­ein­spa­run­gen tru­gen zur Zuspit­zung bei.

https://www.welt.de/wirtschaft/article169362394/Der-Pflegenotstand-ist-zum-ernsten-Gesundheitsrisiko-geworden.html

  1. Was ist zu tun?

Infol­ge der Alte­rung der Gesell­schaft wer­den die Fall­zah­len bei den Patient*innen eher noch stei­gen. Lang­fris­tig ist ein gro­ßer Strauß von Maß­nah­men erfor­der­lich, um mehr Pfle­ge­kräf­te im Beruf zu hal­ten und jun­ge Men­schen zu bewe­gen, einen Pfle­ge­be­ruf zu ergrei­fen sowie den im Beruf Täti­gen zu zei­gen, dass sie nicht krank wer­den müs­sen (Krank­heit als Form der Kon­flikt­be­wäl­ti­gung). Ange­setzt wer­den muss an der Bezah­lung, den Arbeits­zei­ten, es müs­sen Hil­fen zum Stress­ab­bau durch betrieb­li­che Gesund­heits­för­de­rung gege­ben wer­den, sowie Ange­bo­te der Pro­fes­sio­na­li­sie­rung und last but not least Wertschätzung.

Kurz­fris­tig muss mehr Geld für die Kran­ken­pfle­ge zur Ver­fü­gung gestellt wer­den. Wenn die bis­he­ri­ge pfle­ge­po­li­ti­sche Spre­che­rin der Grü­nen Bun­des­tags­frak­ti­on, Eli­sa­beth Schar­fen­berg, am 18.09.2017 nach­fol­gen­de Aus­sa­ge mach­te, gehe ich davon aus, dass dies mit der Frak­ti­on abge­stimmt war: „Wir wol­len mit 1 Mrd. Euro ein Sofort­pro­gramm für Pfle­ge­stel­len im Kran­ken­haus auf­le­gen. (…) Per­so­nal­be­mes­sungs­in­stru­men­te müs­sen wis­sen­schaft­lich er- mit­teln, wie viel Per­so­nal wo not­wen­dig ist, um eine gute Pfle­ge zu gewähr­leis­ten. Das muss dann in allen Bereich in der Pfle­ge bun­des­weit ver­bind­lich umge­setzt wer­den.“ http://elisabeth-scharfenberg.de/themen/2017/09/18/für-mehr-personal-in-der-pflege-braucht-es-handfestere-maßnahmen,-frau-merkel!/

Auf­grund des DRG-Sys­tems sind die­se Bun­des­mit­tel als Sofort­pro­gramm auch erfor­der­lich; aus dem lau­fen­den Bud­get kann dies ohne zusätz­li­che Bun­des­mit­tel nur schwer finan­ziert wer­den, ohne dass die ein­zel­nen Häu­ser in eine wirt­schaft­li­che Schief­la­ge geraten.

Kat­rin Göring-Eckardt kün­dig­te nach der Wahl an: „Wir wer­den die Situa­ti­on der Pfle­ge in den anste­hen­den Gesprä­chen stark machen.“ (ver­öf­fent­licht am 06.10.2017). Selbst die FDP schließt sich nun dem GRÜ­NEN-Vor­schlag an. Kat­rin hat­te bereits im Wahl­kampf eine gesetz­lich vor­ge­schrie­be­ne Min­dest­zahl von Pfle­ge­kräf­ten für jede Sta­ti­on gefor­dert. Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Her­mann Grö­he (CDU) setz­te bis­lang auf ein beschei­de­nes Pfle­ge­stel­len­för­der­pro­gramm in Hohe von 830 Mil­lio­nen Euro und auf indi­vi­du­el­le Ver­hand­lungs­lö­sun­gen zwi­schen Kran­ken­haus­be­trei­bern und Kran­ken­kas­sen. Mit dem Wohl­wol­len der Kran­ken­kas­sen ist m. E. gera­de in Ber­lin nicht zu rech­nen, weil hier die Kran­ken­haus­kos­ten in der Metro­po­le beson­ders hoch sind, die Ein­kom­men der Ber­li­ne­rin­nen und Ber­li­ner, aus der sich die Ein­nah­men der Kran­ken- und Pfle­ge­kas­sen erge­ben, aber eher nied­rig sind.

  1. Situa­ti­on in der ambu­lan­ten und sta­tio­nä­ren Versorgung

Die Per­so­nal­si­tua­ti­on in der ambu­lan­ten Pfle­ge und der Heim­pfle­ge ist so schwie­rig, dass vie­le Ein­rich­tungs­trä­ger kei­ne neu­en Pfle­ge­be­dürf­ti­gen mehr auf­neh­men kön­nen, weil ihnen die Beschäf­tig­ten für die Ver­sor­gung feh­len. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/77500/Ambulante-Pflegedienste-in-Berlin-suchen-haenderingend-Personal. Soll­te sich die Situa­ti­on wei­ter zuspit­zen, stellt sich die Fra­ge, wie der Grund­satz im deut­schen Pfle­ge­recht „ambu­lant vor sta­tio­när“ auf­recht­erhal­ten wer­den kann.

Im Unter­schied zur Arbeit von Fach­kran­ken­schwes­tern und ‑Pfle­gern in den Kran­ken­häu­sern, arbei­ten in der ambu­lan­ten Pfle­ge vie­le Beschäf­tig­te ohne drei­jäh­ri­ge Aus­bil­dung in Kran­ken- und/oder Alten­pfle­ge. Nach Pfle­ge­ver­si­che­rungs­recht sind ambu­lan­te und sta­tio­nä­re Pfle­ge­diens­te selb­stän­dig wirt­schaft­li­che Ein­rich­tun­gen, „die unter stän­di­ger Ver­ant­wor­tung einer aus­ge­bil­de­ten Pfle­ge­fach­kraft Pfle­ge­be­dürf­ti­ge in ihrer Woh­nung mit Leis­tun­gen der häus­li­chen Pfle­ge­hil­fe im Sin­ne des § 36 ver­sor­gen.“ (bzw. in Ein­rich­tung der voll­sta­tio­nä­ren Ver­sor­gung im Sin­ne des § 43 SGB XI). https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_11/__71.html. Das heißt, das Fach­per­so­nal trägt die Ver­ant­wor­tung für die Ein­sät­ze und muss sich von Zeit zu Zeit ver­ge­wis­sern, dass die Aus­füh­rung der Tätig­kei­ten fach­lich ange­mes­sen ist.

Die Finan­zie­rung ambu­lan­ter bzw. sta­tio­nä­rer Sach­leis­tun­gen lässt es auch nicht zu, dass grund­pfle­ge­ri­sche Tätig­kei­ten wie Kör­per­pfle­ge und Pro­phy­la­xe­maß­nah­men[1]  sowie Auf­ga­ben in der haus­wirt­schaft­li­chen Ver­sor­gung durch drei­jäh­rig aus­ge­bil­de­tes Per­so­nal unmit­tel­bar durch­ge­führt wird, dafür sind die Sät­ze zu nied­rig. Pflegehelfer*innen ver­fü­gen in Ber­lin in der Regel über eine Basis­qua­li­fi­ka­ti­on von 200 Std. oder weni­ger. Nur Leis­tun­gen der Behand­lungs­pfle­ge wie z. B. das Wech­seln von Ver­bän­den müs­sen durch Pfle­ge­fach­kräf­te durch­ge­führt wer­den. Der Pfle­ge­min­dest­lohn für Pflegehelfer*innen wird ab Novem­ber 2017 in Ber­lin auf 10,20 Euro/Std. brut­to angehoben.

  1. Was ist zu tun?

Die Lin­ke for­dert auf Bun­des­ebe­ne: „Der Pfle­ge­min­dest­lohn muss sofort auf 14,50 Euro er- höht wer­den“. https://www.welt.de/wirtschaft/article169362394/Der-Pflegenotstand-ist-zum-ernsten-Gesundheitsrisiko-geworden.html

Die­se For­de­rung ist m. E. für Kran­ken­häu­ser unge­eig­net, weil der Brut­to­lohn von Fachkranken‑, Lern­schwes­tern und ‑Pfle­gern bei ca. 16 Euro/Std. liegt. Der genann­te Pfle­ge­min­dest­lohn wäre aber für Pflegehelfer*innen der ambu­lan­ten Pfle­ge und für die Pfle­ge in Hei­men ziel­füh­rend. Dazu müss­ten Gesprä­che mit den Kos­ten­trä­gern geführt wer­den, die die Leis­tun­gen gegenfinanzieren.

Ergän­zend wären fol­gen­de wei­te­re Maß­nah­men in allen Fel­dern der Pfle­ge erforderlich:

  • Initia­ti­ve Pfle­ge 4.0 – Made in Ber­lin« zügig ange­hen, damit in der Pfle­ge Täti­ge rasch von unnö­ti­ger Doku­men­ta­ti­on ent­las­tet wer­den.[2]
  • Ein Akti­vie­rungs­pro­gramm für Men­schen, die aus der Pfle­ge aus­ge­stie­gen sind, weil ihnen die Arbeits­be­din­gun­gen zu stres­sig und das Ein­kom­men zu nied­rig war.
  • Men­schen, die z. B. nach einer Fami­li­en­pha­se aus dem Beruf aus­ge­stie­gen waren, für eine Tätig­keit als Pflegehelfer*in moti­vie­ren und kos­ten­lo­se Qua­li­fi­zie­rungs­maß­nah­men anbieten.
  • Fami­li­en­freund­li­che­re Arbeitszeiten.
  • Der Ein­satz von Sprin­gern, damit die Beschäf­tig­ten nicht per­ma­nent aus der Frei­zeit geholt wer­den, wenn jemand krank wird.
  • Gute Wer­be­kam­pa­gnen, damit genü­gend Nach­wuchs­kräf­te aus­ge­bil­det wer­den (Lan­des­in­itia­ti­ve „Qua­li­täts- und Qua­li­fi­zie­rungs­of­fen­si­ve für Fach­kräf­te­si­che­rung in der Alten­pfle­ge“ kon­zen­triert fortsetzen).
  • Ange­bo­te zur Gesundheitsförderung.
  • Regel­mä­ßi­ge Wei­ter­bil­dun­gen und Teambesprechungen.

Fazit: Kurz­fris­tig sind ein groß­zü­gi­ges finan­zi­el­les Sofort­pro­gramm für die Kran­ken­haus­pfle­ge und eine Min­dest­aus­stat­tung für die Pfle­ge auf den Sta­tio­nen die Mit­tel der Wahl. Sofort­mit­tel sind die Vor­aus­set­zung, um die­se Min­dest­aus­stat­tung finan­zie­ren zu kön­nen. Dane­ben sind lang­fris­tig wei­te­re Schrit­te erfor­der­lich, um die Berufs­aus­übung attrak­ti­ver zu gestal­ten und lang­fris­tig den Per­so­nal­be­darf zu sichern.

Text: Anto­nia Schwarz, Spre­che­rin der GRÜNEN ALTEN Ber­lin, aktua­li­siert 19.10.2017 Mit­glied der LAG Gesund­heit und Sozia­les Berlin

antonia.schwarz@gruenealte.de, Mobil: 0179 4757427

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[1] Dar­un­ter wird ver­stan­den, dass z. B. auf aus­rei­chend Flüs­sig­keits­zu­fuhr geach­tet wird, damit die Pfle­ge­be­dürf­ti­gen nicht aus­trock­nen und in Fol­ge des­sen bspw. ver­wirrt werden.

[2] „Initia­ti­ve Pfle­ge 4.0 – Made in Ber­lin«: Die Pfle­ge­do­ku­men­ta­ti­on soll über­ar­bei­tet wer­den und damit weni­ger Zeit beanspruchen.

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