Über die Rekultivierung von Abraumhalden

Coverfoto des Buchs Wilhelm Knabe Erinnerungen

Erin­ne­run­gen – Ein deutsch-deut­sches Leben“ nennt Wil­helm Kna­be sei­ne 2019 erschie­ne­ne Bio­gra­fie. Er, der 1980 „Die GRÜNEN“ mit­ge­grün­det hat, ist heu­te 96 Jah­re alt und schaut auf sein Leben zurück. Es reicht von der Kind­heit in einem Dorf bei Leip­zig über die Hit­ler­ju­gend, den Zwei­ten Welt­krieg, das Leben in der DDR, die Flucht und den Neu­auf­bau in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. Schon früh in der Umwelt­be­we­gung enga­giert, wur­de er 1982 Spre­cher der Par­tei. Wie kein ande­rer ver­kör­pert Wil­helm Kna­be die Dop­pel­heit Deutsch­lands. Sie hält heu­te noch an, obwohl die Mau­er schon vor 30 Jah­ren gefal­len ist.

Wil­helm Kna­be ist mit acht Geschwis­tern in einem evan­ge­li­schen Haus­halt auf­ge­wach­sen. Der Vater ist Pas­tor in einer Pfle­ge­an­stalt, „in der ‚Geis­tes­kran­ke’ unter­ge­bracht waren“. Er erlebt den Krieg; zwei sei­ner Geschwis­ter fal­len. Gegen Ende fragt er einen befrei­ten KZ-Häft­ling, wie es denn gewe­sen sei. Der ant­wor­tet: „Weißt du, die wer­den dir viel erzäh­len, wie schlimm es war, ich kann dir nur eins sagen, es war schlim­mer.“ Das hat er nie ver­ges­sen. Wil­helm Kna­be gerät in Gefan­gen­schaft. Dort begeg­net ihm der Dich­ter Her­mann Hes­se. Ein ame­ri­ka­ni­scher Sol­dat ver­hört ihn. Es ist Hen­ry Kis­sin­ger, wie er spä­ter erkennt.

Nach dem Krieg arbei­tet er zuerst als „Lai­en­leh­rer“ an einer Volks­schu­le. „För­dern Sie die Bega­bun­gen, schaf­fen Sie Ver­trau­en und sei­en Sie ihnen Vor­bild“, rät ihm ein Psy­cho­lo­ge. Dar­an hat er sich sein Leben lang gehalten.

Dann stu­diert er Forst­wirt­schaft, enga­giert sich in der evan­ge­li­schen Stu­den­ten­ge­mein­de und schreibt sei­ne Diplom­ar­beit über eine „wun­der­ba­re“ Lär­che, in deren Schat­ten ein Apfel­baum jedes Jahr Früch­te trägt, was ande­re Bäu­me nur alle zwei Jah­re schaf­fen. Sei­ne Dok­tor­ar­beit schreibt er über „Die Rekul­ti­vie­rung im Braun­koh­len­berg­bau“. Damit hat er sein ers­tes Lebens­the­ma gefun­den. Er fährt in die Lau­sitz, erforscht die Ursa­chen und fin­det die Lösung. Mitt­ler­wei­le gilt er welt­weit – in den USA, in Bra­si­li­en, in Polen und in Nord­rhein-West­fah­len – als Fach­mann für die Rekul­ti­vie­rung von Abraum­hal­den. Er hei­ra­tet, bekommt Kin­der, schreibt selbst Gedich­te, bekommt Ärger mit der Sta­si und flüch­tet in den Westen.

Dort beginnt er als Geschäfts­füh­rer des Deut­schen Pap­pel­ver­eins NRW, legt sich sofort mit den Mäch­ti­gen der Bran­che an, wech­selt ans Insti­tut für Welt­forst­wirt­schaft nach Ham­burg und geht kurz danach zur Lan­des­an­stalt für Immis­si­ons- und Boden­nut­zungs­schutz nach Essen. Da geht es um Luft­rein­hal­tung und um den Schutz der Wäl­der. Das ande­re Lebens­the­ma des Wil­helm Kna­be. Doch die Bäu­me in NRW sind schon schwer geschä­digt: „Nur mein Lieb­lings­mam­mut­baum vor der Ein­gangs­tür mei­nes Hau­ses, der steht noch.“

Poli­tisch enga­giert war Wil­helm Kna­be schon immer. Von 1946 bis zu sei­ner Flucht ist er in der Ost-CDU, danach in der West-CDU, die er bei der Grün­dung einer „Grü­nen Lis­te Umwelt­schutz NRW“ 1978 ver­lässt.  Gleich­zei­tig arbei­tet er in Mül­heim an der Ruhr in einer Bür­ger­initia­ti­ve zur Ver­hin­de­rung der A31 mit, die unter Ver­nich­tung von zahl­rei­chen Wald­ge­bie­ten von Ost­fries­land ins Ruhr­ge­biet füh­ren soll­te. Unter dem Namen „Ost­frie­sen­spiess“ ist sie in die Geschich­te eingegangen.

Bei der Grün­dung des Kreis­ver­ban­des Mül­heim an der Ruhr ist er „selbst­ver­ständ­lich“ dabei und als zwei Jah­re spä­ter in Karls­ru­he die Bun­des­par­tei aus­ge­ru­fen wird, sitzt er auf dem Podi­um, und in Hagen wird er zum ers­ten Spre­cher gewählt. In den fol­gen­den Jah­ren ist er bei allen wich­ti­gen Ereig­nis­sen dabei, wobei das „Wald­ster­ben“ zuneh­mend in den Mit­tel­punkt sei­ner Arbeit rückt. Dann schmug­gelt er noch eine Druck­ma­schi­ne in die Umwelt­bi­blio­thek der Zions­ge­mein­de, die sofort von der Sta­si kon­fis­ziert wird. 1990 flie­gen die West­grü­nen aus dem Bun­des­tag, weil der Slo­gan: „Alle reden von Deutsch­land, wir reden vom Kli­ma“, ihnen zum Ver­häng­nis wird.

An sei­nem 80. Geburts­tag ver­sam­melt sich die grü­ne Pro­mi­nenz, um ihn zu fei­ern, ihn mit Lobes­hym­nen und zar­ter Kri­tik zu wür­di­gen, wie er schmun­zelnd berich­tet. In Mül­heim an der Ruhr wird er noch ein­mal 2. Bür­ger­meis­ter in einer schwarz-grü­nen Koali­ti­on und 2004 grün­det er noch ein­mal den Ver­ein Grü­ne Alte mit. Seit 2012 ist er des­sen Ehrenvorsitzender.

Nach einem Schlag­an­fall sei­ner Frau wid­met er sich ihrer Pfle­ge bis zu ihrem Tod.

In der Aus­stel­lung „Befrei­te Moder­ne (Kunst 1945–1949)“ im Kunst­mu­se­um Mül­heim, begeg­net ihm Her­mann Hes­ses Gedicht „Stu­fen“ wie­der, und beein­druckt ihn der Name „Bar­bar­opa“ für das in die Bar­ba­rei zurück­ge­fal­le­ne Europa.

Das Buch endet mit einer „Rei­se in die Erin­ne­rung – ein Traum“, in der sich sein bis­he­ri­ger Lebens­weg noch ein­mal spiegelt.

Im Vor­wort schreibt Micha­el Kell­ner, der Poli­ti­sche Bun­des­ge­schäfts­füh­rer von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Ich ver­nei­ge mich vor Men­schen wie Wil­helm, ohne ihn wür­den wir heu­te als Par­tei nicht exis­tie­ren. Er hat die Saat gelegt für die­se Grü­ne Partei.“

Wil­helm Kna­bes Erin­ne­run­gen wei­sen auf die Zukunft hin, sie zei­gen, was zu machen ist und for­dern uns auf, es zusam­men mit ihm zu tun. Und so ent­steht mit der Rekul­ti­vie­rung der Abraum­hal­de „Erde“ für die Öko­lo­gie, was ja „Wis­sen­schaft von orga­ni­schen Lebe­we­sen in natür­li­cher Umwelt“ oder vom „unge­stör­ten Haus­halt der Natur“ bedeu­tet, ein völ­lig neu­er Sinn. Ein nütz­li­ches Buch.

Wil­helm Kna­be, Erin­ne­run­gen – Ein deutsch-deut­sches Leben, Dr. Kros­se Ver­lag, Mül­heim an der Ruhr 2019, 22 Euro.

Autor: Bernd Gos­au, von 2009 bis 2019 Spre­cher der Grü­nen Alten Bundesverband

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