Gefährliche Pflege – am Beispiel von Berlin

Antonia Schwarz schildert eindrücklich die Probleme, die besonders ältere Menschen in Berliner Krankenhäusern und in der ambulanten Pflege haben und schlägt SOS-Maßnahmen vor, um rasch etwas dagegen tun zu können.

Gefährliche Pflege in den Berliner Krankenhäusern und der ambulanten Pflege

1. Gefährliche Pflege durch gestiegene Fallzahlen je Pflegekraft in den Kliniken

Die Kran­ken­pfle­ge ist noch deut­li­cher als der ärzt­li­che Bereich lang­fris­tig zum Opfer eines öko­no­mi­schen Ver­ständ­nis­ses von Gesund­heits­ver­sor­gung gewor­den, wie es mit dem Abrechnungs(DRG)-System in der Kran­ken­haus­ver­sor­gung poli­tisch gewollt war. In den letz­ten Jah­ren stie­gen die Pati­en­ten­zah­len in den Kran­ken­häu­sern kon­ti­nu­ier­lich, wäh­rend die Zahl der Beschäf­tig­ten in der Pfle­ge eher gleich­ge­blie­ben ist. Dies führt zu hohen Arbeits­be­las­tun­gen und län­ge­ren Krank­heits­zei­ten bei jenen, die die Fol­gen nicht mehr mit­tra­gen oder dem Druck nicht mehr stand­hal­ten können.

Nach­fol­gen­de Gra­fik der Stif­tung Pati­en­ten­schutz ver­deut­licht die gestie­ge­nen Pati­en­ten­zah­len, zeigt aber auch, dass Ber­lin bei dem Ver­hält­nis von Fall­zahl pro Pfle­ge­kraft neben Nie­der­sach­sen zum trau­ri­gen Spit­zen­rei­ter zählt. Auch die jah­re­lang feh­len­den Inves­ti­ti­ons­leis­tun­gen des Ber­li­ner Senats und die damit ver­bun­de­nen Per­so­nal­ein­spa­run­gen tru­gen zur Zuspit­zung bei. 

https://www.welt.de/wirtschaft/article169362394/Der-Pflegenotstand-ist-zum-ernsten-Gesundheitsrisiko-geworden.html

2. Was ist zu tun?

Infol­ge der Alte­rung der Gesell­schaft wer­den die Fall­zah­len bei den Patient*innen eher noch stei­gen. Lang­fris­tig ist ein gro­ßer Strauß von Maß­nah­men erfor­der­lich, um mehr Pfle­ge­kräf­te im Beruf zu hal­ten und jun­ge Men­schen zu bewe­gen, einen Pfle­ge­be­ruf zu ergrei­fen sowie den im Beruf Täti­gen zu zei­gen, dass sie nicht krank wer­den müs­sen (Krank­heit als Form der Kon­flikt­be­wäl­ti­gung). Ange­setzt wer­den muss an der Bezah­lung, den Arbeits­zei­ten, es müs­sen Hil­fen zum Stress­ab­bau durch betrieb­li­che Gesund­heits­för­de­rung gege­ben wer­den, sowie Ange­bo­te der Pro­fes­sio­na­li­sie­rung und last but not least Wertschätzung.

Kurz­fris­tig muss mehr Geld für die Kran­ken­pfle­ge zur Ver­fü­gung gestellt wer­den. Wenn die bis­he­ri­ge pfle­ge­po­li­ti­sche Spre­che­rin der Grü­nen Bun­des­tags­frak­ti­on, Eli­sa­beth Schar­fen­berg, am 18.09.2017 nach­fol­gen­de Aus­sa­ge mach­te, gehe ich davon aus, dass dies mit der Frak­ti­on abge­stimmt war: „Wir wol­len mit 1 Mrd. Euro ein Sofort­pro­gramm für Pfle­ge­stel­len im Kran­ken­haus auf­le­gen. (…) Per­so­nal­be­mes­sungs­in­stru­men­te müs­sen wis­sen­schaft­lich ermit­teln, wie viel Per­so­nal wo not­wen­dig ist, um eine gute Pfle­ge zu gewähr­leis­ten. Das muss dann in allen Bereich in der Pfle­ge bun­des­weit ver­bind­lich umge­setzt werden.“

http://elisabeth-scharfenberg.de/themen/2017/09/18/für-mehr-personal-in-der-pflege-braucht-es-handfestere-maßnahmen,-frau-merkel!/

Auf­grund des DRG-Sys­tems sind die­se Bun­des­mit­tel als Sofort­pro­gramm auch erfor­der­lich; aus dem lau­fen­den Bud­get kann dies ohne zusätz­li­che Bun­des­mit­tel nur schwer finan­ziert wer­den, ohne dass die ein­zel­nen Häu­ser in eine wirt­schaft­li­che Schief­la­ge geraten.

Kat­rin Göring-Eckardt kün­dig­te nach der Wahl an: „Wir wer­den die Situa­ti­on der Pfle­ge in den anste­hen­den Gesprä­chen stark machen.“ (ver­öf­fent­licht am 06.10.2017). Selbst die FDP schließt sich nun dem GRÜ­NEN-Vor­schlag an. Kat­rin hat­te bereits im Wahl­kampf eine gesetz­lich vor­ge­schrie­be­ne Min­dest­zahl von Pfle­ge­kräf­ten für jede Sta­ti­on gefor­dert. Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Her­mann Grö­he (CDU) setz­te bis­lang auf ein beschei­de­nes Pfle­ge­stel­len­för­der­pro­gramm in Hohe von 830 Mil­lio­nen Euro und auf indi­vi­du­el­le Ver­hand­lungs­lö­sun­gen zwi­schen Kran­ken­haus­be­trei­bern und Kran­ken­kas­sen. Mit dem Wohl­wol­len der Kran­ken­kas­sen ist m. E. gera­de in Ber­lin nicht zu rech­nen, weil hier die Kran­ken­haus­kos­ten in der Metro­po­le beson­ders hoch sind, die Ein­kom­men der Ber­li­ne­rin­nen und Ber­li­ner, aus der sich die Ein­nah­men der Kran­ken- und Pfle­ge­kas­sen erge­ben, aber eher nied­rig sind.

3. Situation in der ambulanten und stationären Versorgung

Die Per­so­nal­si­tua­ti­on in der ambu­lan­ten Pfle­ge und der Heim­pfle­ge ist so schwie­rig, dass vie­le Ein­rich­tungs­trä­ger kei­ne neu­en Pfle­ge­be­dürf­ti­gen mehr auf­neh­men kön­nen, weil ihnen die Beschäf­tig­ten für die Ver­sor­gung fehlen.

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/77500/Ambulante-Pflegedienste-in-Berlin-suchen-haenderingend-Personal.

Soll­te sich die Situa­ti­on wei­ter zuspit­zen, stellt sich die Fra­ge, wie der Grund­satz im deut­schen Pfle­ge­recht „ambu­lant vor sta­tio­när“ auf­recht­erhal­ten wer­den kann.

Im Unter­schied zur Arbeit von Fach­kran­ken­schwes­tern und ‑Pfle­gern in den Kran­ken­häu­sern, arbei­ten in der ambu­lan­ten Pfle­ge vie­le Beschäf­tig­te ohne drei­jäh­ri­ge Aus­bil­dung in Kran­ken- und/oder Alten­pfle­ge. Nach Pfle­ge­ver­si­che­rungs­recht sind ambu­lan­te und sta­tio­nä­re Pfle­ge­diens­te selb­stän­dig wirt­schaft­li­che Ein­rich­tun­gen, „die unter stän­di­ger Ver­ant­wor­tung einer aus­ge­bil­de­ten Pfle­ge­fach­kraft Pfle­ge­be­dürf­ti­ge in ihrer Woh­nung mit Leis­tun­gen der häus­li­chen Pfle­ge­hil­fe im Sin­ne des § 36 ver­sor­gen.“ (bzw. in Ein­rich­tung der voll­sta­tio­nä­ren Ver­sor­gung im Sin­ne des § 43 SGB XI).

https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_11/__71.html.

Das heißt, das Fach­per­so­nal trägt die Ver­ant­wor­tung für die Ein­sät­ze und muss sich von Zeit zu Zeit ver­ge­wis­sern, dass die Aus­füh­rung der Tätig­kei­ten fach­lich ange­mes­sen ist.

Die Finan­zie­rung ambu­lan­ter bzw. sta­tio­nä­rer Sach­leis­tun­gen lässt es auch nicht zu, dass grund­pfle­ge­ri­sche Tätig­kei­ten wie Kör­per­pfle­ge und Pro­phy­la­xe­maß­nah­men[1]  sowie Auf­ga­ben in der haus­wirt­schaft­li­chen Ver­sor­gung durch drei­jäh­rig aus­ge­bil­de­tes Per­so­nal unmit­tel­bar durch­ge­führt wird, dafür sind die Sät­ze zu nied­rig. Pflegehelfer*innen ver­fü­gen in Ber­lin in der Regel über eine Basis­qua­li­fi­ka­ti­on von 200 Std. oder weni­ger. Nur Leis­tun­gen der Behand­lungs­pfle­ge wie z. B. das Wech­seln von Ver­bän­den müs­sen durch Pfle­ge­fach­kräf­te durch­ge­führt wer­den. Der Pfle­ge­min­dest­lohn für Pflegehelfer*innen wird ab Novem­ber 2017 in Ber­lin auf 10,20 Euro/Std. brut­to angehoben.

4.  Was ist zu tun?

Die Lin­ke for­dert auf Bun­des­ebe­ne: „Der Pfle­ge­min­dest­lohn muss sofort auf 14,50 Euro erhöht wer­den“. https://www.welt.de/wirtschaft/article169362394/Der-Pflegenotstand-ist-zum-ernsten-Gesundheitsrisiko-geworden.html

Die­se For­de­rung ist m. E. für Kran­ken­häu­ser unge­eig­net, weil der Brut­to­lohn von Fachkranken‑, Lern­schwes­tern und ‑Pfle­gern bei ca. 16 Euro/Std. liegt. Der genann­te Pfle­ge­min­dest­lohn wäre aber für Pflegehelfer*innen der ambu­lan­ten Pfle­ge und für die Pfle­ge in Hei­men ziel­füh­rend. Dazu müss­ten Gesprä­che mit den Kos­ten­trä­gern geführt wer­den, die die Leis­tun­gen gegenfinanzieren.

Ergän­zend wären fol­gen­de wei­te­re Maß­nah­men in allen Fel­dern der Pfle­ge erforderlich:

  • Initia­ti­ve Pfle­ge 4.0 – Made in Ber­lin« zügig ange­hen, damit in der Pfle­ge Täti­ge rasch von unnö­ti­ger Doku­men­ta­ti­on ent­las­tet wer­den.[2]
  • Ein Akti­vie­rungs­pro­gramm für Men­schen, die aus der Pfle­ge aus­ge­stie­gen sind, weil ihnen die Arbeits­be­din­gun­gen zu stres­sig und das Ein­kom­men zu nied­rig waren.
  • Men­schen, die z. B. nach einer Fami­li­en­pha­se aus dem Beruf aus­ge­stie­gen waren, für eine Tätig­keit als Pflegehelfer*in moti­vie­ren und kos­ten­lo­se Qua­li­fi­zie­rungs­maß­nah­men anbieten.
  • Fami­li­en­freund­li­che­re Arbeitszeiten.
  • Der Ein­satz von Sprin­gern, damit die Beschäf­tig­ten nicht per­ma­nent aus der Frei­zeit geholt wer­den, wenn jemand krank wird.
  • Gute Wer­be­kam­pa­gnen, damit genü­gend Nach­wuchs­kräf­te aus­ge­bil­det wer­den (Lan­des­in­itia­ti­ve „Qua­li­täts- und Qua­li­fi­zie­rungs­of­fen­si­ve für Fach­kräf­te­si­che­rung in der Alten­pfle­ge“ kon­zen­triert fortsetzen).
  • Ange­bo­te zur Gesundheitsförderung.
  • Regel­mä­ßi­ge Wei­ter­bil­dun­gen und Teambesprechungen.

Fazit: Kurz­fris­tig sind ein groß­zü­gi­ges finan­zi­el­les Sofort­pro­gramm für die Kran­ken­haus­pfle­ge und eine Min­dest­aus­stat­tung für die Pfle­ge auf den Sta­tio­nen die Mit­tel der Wahl. Sofort­mit­tel sind die Vor­aus­set­zung, um die­se Min­dest­aus­stat­tung finan­zie­ren zu kön­nen. Dane­ben sind lang­fris­tig wei­te­re Schrit­te erfor­der­lich, um die Berufs­aus­übung attrak­ti­ver zu gestal­ten und lang­fris­tig den Per­so­nal­be­darf zu sichern.

Text: Anto­nia Schwarz, Spre­che­rin der GRÜNEN ALTEN Ber­lin, aktua­li­siert 19.10.2017 Mit­glied der LAG Gesund­heit und Sozia­les Berlin

antonia.schwarz@gruenealte.de, Mobil: 0179 4757427

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[1] Dar­un­ter wird ver­stan­den, dass z. B. auf aus­rei­chend Flüs­sig­keits­zu­fuhr geach­tet wird, damit die Pfle­ge­be­dürf­ti­gen nicht aus­trock­nen und in Fol­ge des­sen bspw. ver­wirrt werden.

[2] „Initia­ti­ve Pfle­ge 4.0 – Made in Ber­lin«: Die Pfle­ge­do­ku­men­ta­ti­on soll über­ar­bei­tet wer­den und damit weni­ger Zeit beanspruchen.

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