Gesundheit & Grundrechte schützen

Antonia Schwarz

Webinar: „Wie können wir die Gesundheit und unsere Grundrechte schützen“ 

Am 08.04.2020 fand von 20:30 bis 22:00 Uhr, ver­an­stal­tet durch den Lan­des­vor­stand der Bünd­nis­grü­nen NRW, die­ses Web­i­nar statt.

Grundlagen:

  • Nach wie vor über­tra­gen Men­schen, die nicht zu den sogen. Haupt­ri­si­ko­grup­pen gehö­ren, soge­nann­te asym­pto­ma­ti­sche Virus­trä­ger die Erre­ger der Corona-Pandemie
  • Epi­de­mio­lo­gen gehen davon aus, dass es eine hohe Zahl von Infi­zier­ten gibt, die unbe­kannt sind.
  • In der Gefahr, an den Fol­gen der Infek­ti­on zu ster­ben ste­hen fol­gen­de Grup­pen: Men­schen mit bestimm­ten Vor- und Mehr­fa­ch­er­kran­kun­gen (mul­ti­mor­bi­de), Men­schen in einem hohen Lebens­al­ter, Raucher*innen,
  • Mitt­ler­wei­le spie­len die sogen. noso­ko­mia­len Über­tra­gun­gen eine gro­ße Rol­le, d. h. durch Über­tra­gung erwor­be­ne Infek­te in den Insti­tu­tio­nen Pfle­ge­hei­me, Kran­ken­häu­ser und Betreu­ungs­ein­rich­tun­gen. Die Aus­brei­tung in die­sen Insti­tu­tio­nen gilt inzwi­schen als domi­nan­te Ausbreitung.
  • Ca. ein Drit­tel der Beschäf­tig­ten der genann­ten Ein­rich­tun­gen gel­ten als infi­ziert, ohne dass sie immer deut­li­che Sym­pto­me haben.
  • Der Erre­ger brei­tet sich über lokal begrenz­te Clus­ter aus (z. B. Heins­berg, Würz­burg, Wolfsburg.

Mortalität:

  • Die Zahl der Todes­fäl­le, die zwei­fels­frei an den Fol­ge­er­kran­kun­gen des Covid-19-Erre­gers ster­ben gilt als über­schätzt, weil nicht unter­schie­den wird, wel­cher Anteil der Men­schen auf­grund ihres Alters oder ihrer Vor­er­kran­kun­gen versterben.
  • In ähn­li­cher Wei­se betrof­fen sind deut­lich jün­ge­re Men­schen, z. B. nach einer Organ­trans­plan­ta­ti­on, Men­schen, die in letz­ter Zeit mit Zyto­sta­ti­ka gegen Krebs behan­delt wur­den, deren Gemein­sam­keit besteht in einer sehr gesenk­ten Immun­ab­wehr. Men­schen, die gelähmt sind und ihre sogen. Atem­mus­ku­la­tur nicht ver­wen­den kön­nen, weil sie nicht abhus­ten kön­nen. Jün­ge­re Men­schen mit einer aus­ge­präg­ten asth­ma­ti­schen Erkran­kung. Im Ein­zel­fall wer­den auch jün­ge­re Men­schen inten­siv­pflich­tig. Der Viro­lo­ge Dros­ten (Cha­ri­té) erwähnt aber auch bei jün­ge­ren Men­schen schwe­re gesund­heit­li­che Schäden.

Präventionsstrategien:

  • Die Wirk­sam­keit von Abstand hal­ten gilt inzwi­schen als begrenzt. Es gibt zudem das para­do­xe Phä­no­men, je mehr eine Aus­brei­tung ver­hin­dert wur­de, des­to eher ist mit einer zwei­ten Wel­le zu rechnen.
  • Ein mul­ti­pro­fes­sio­nel­les Exper­ten­team emp­fiehlt aktu­ell die Kon­zen­tra­ti­on auf fol­gen­de Schwerpunkte:
  • Kon­zen­tra­ti­on auf die vier Risi­ko­be­rei­che: Alter, Mul­ti­mor­bi­di­tät unab­hän­gig vom Alter, Kon­tak­te in Kli­ni­ken, Alten­hei­me und Betreu­ungs­ein­rich­tun­gen oder betrof­fen als Teil eines Clus­ters wie z. B. in den Hei­men mit hoher Todesrate.
  • Sie beto­nen, dass Älte­re Men­schen, die nicht mul­ti­mor­bi­de sind, kein grö­ße­res Risi­ko tra­gen als ande­re Bevölkerungsgruppen
  • Kla­re Tren­nung der Betreu­ungs- und Behand­lungs­pro­zes­se der Infi­zier­ten und Nicht-Infizierten
  • Eta­blie­rung von Spezialist*innengruppen (Task Force) für die Hoch­ri­si­ko­be­rei­che, die auf ent­ste­hen­de Clus­ter reagieren.

Balance in Richtung gesellschaftliche Wirkungen

  • Die par­ti­el­le Prä­ven­ti­ons­stra­te­gie des Shut­down war zunächst die rich­ti­ge Stra­te­gie. Sie birgt aber Gefah­ren und gesell­schaft­li­che Konfliktpotentiale:
  • Ent­ste­hung sozia­ler Ungleich­heit und ande­re Kon­flik­te wie z. B. Kon­flik­te mit den juris­ti­schen und bis­her gel­ten­den maß­geb­li­chen Regeln (Nor­men) unse­rer Gesellschaft.
  • Men­schen mit nied­ri­gem Ein­kom­men und klei­ne Selbst­stän­di­ge sind von den Maß­nah­men, die für alle gel­ten, stär­ker betrof­fen als Per­so­nen mit grö­ße­ren finan­zi­el­len Spielräumen.
  • Demo­kra­ti­sche Grund­sät­ze und die Rech­te von Bürger*innen dür­fen nicht gegen die Gesund­heit aus­ge­spielt werden
  • Die ver­meint­li­che Alter­na­tiv­lo­sig­keit des staat­li­chen Han­delns muss demo­kra­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung gegen­über­ge­stellt wer­den. Öko­no­mi­sche Risi­ken ver­stär­ken die Legitimationsprobleme
  • Es muss immer wie­der klar gestellt wer­den, dass die Bürger*innenrechte wich­tig sind und nur kurz­fris­tig ein­ge­schränkt blei­ben dürfen.

Zu den Vorschlägen der OBs von Düsseldorf Geisel und Tübingen Palmer

  1. Zu den Vor­schlä­ge und Gedan­ken­spie­len, Risi­ko­grup­pen wie ins­be­son­de­re Älte­re in ver­schärf­te Qua­ran­tä­ne zu schi­cken und die Beschrän­kun­gen für den Rest der Bevöl­ke­rung auf­zu­he­ben, sagt der Lei­ter der Infek­to­lo­gie der Uni Köln, Prof. Fät­ken­heu­er. Wenn man das durch­rech­net, wür­den noch immer mehr als 100.000 Men­schen unter 50 ster­ben. Das hört sich unkal­ku­lier­bar an. Will die Gesell­schaft sol­che Kol­la­te­ral­schä­den hinnehmen?
  2. Wenn OB Gei­sel sagt, die Kran­ken­häu­ser sei­en gut prä­pa­riert wor­den, muss genau­er nach­ge­hakt wer­den, was dies heißt, wenn immer mehr Gesund­heits­per­so­nal selbst infi­ziert ist.
  3. Zwei­tens muss man, wenn es um die Gesund­heit und die Leta­li­tät geht auch gegen­rech­nen, wel­che nega­ti­ve Wir­kung es auf die Gesund­heit von Hoch­be­tag­ten hat, wenn sie z. B. ihre Phy­sio­the­ra­pie nicht mehr erhal­ten. Wie wirkt sich Ein­sam­keit und Depres­si­on auf die Gesund­heit aus; besteht da nicht die gro­ße Gefahr, dass wir mehr Demenz­er­kran­kun­gen in Kauf neh­men, weil die Anre­gun­gen feh­len und der wich­ti­ge Kon­takt zu Men­schen, die wert­voll sind und Halt geben.
  4. Manch­mal wird über Hoch­be­tag­te gesagt, dass sie „eigen­sin­nig“ sind. Wenn man sich das Wort genau­er ansieht, dann steckt dort der eige­ne Sinn drin. Wenn es allei­ne leben­den älte­ren Men­schen gut tut, jetzt im Früh­ling raus­zu­ge­hen, sich zu bewe­gen, die Natur zu genie­ßen, dann wird das zuzu­las­sen mehr zur Gesund­heit bei­tra­gen als die voll­stän­di­ge Iso­la­ti­on zuhau­se. Natür­lich ist Vor­sich­tig­keit ange­bracht, sich nicht gro­ßen Men­schen­men­gen aus­zu­set­zen, kon­se­quen­te Hän­de­hy­gie­ne und viel­leicht auch ein geeig­ne­ter Mund­schutz.
    – Boris Pal­mer, OB Thüringen

Kommentar:

  • Er spricht gar von einem neu­en Gene­ra­tio­nen­ver­trag. Die Älte­ren sol­len sich mal ein­sper­ren las­sen, damit die Jun­gen zukünf­tig noch ihre Ren­te bezah­len kön­nen. Nie­mand kann im Moment sagen, wie lan­ge das gel­ten soll.
  • Sie sol­len sich durch Ehren­amt­li­che ver­sor­gen las­sen, nicht mehr selbst raus­ge­hen. Auch er nimmt den Kol­la­te­ral­scha­den in Kauf und macht es gar zur mora­li­schen Ver­pflich­tung an die Älte­ren, selbst nicht mehr die Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men, für das was sie tun oder las­sen. Hin­ter die­sem Gedan­ken steckt die Idee des soge­nann­ten „Cocoo­ning“. Ich bin dafür, an sol­chen Stel­len die Din­ge beim Namen zu nen­nen und die ekla­tan­te Ein­schrän­kung von Grund­rech­ten nicht mit der ver­meint­li­chen Für­sor­ge zu verbrämen.
  • Wir Men­schen sind sozia­le Wesen, nicht jeder ist für die Ein­öde gemacht. Mein 91-jäh­ri­ger Schwie­ger­va­ter hat kürz­lich sei­ne Lebens­ge­fähr­tin durch Tod ver­lo­ren. Er wohnt in der eige­nen Häus­lich­keit, also nicht bei uns. Tra­di­tio­nell hat er ein gro­ßes Rede­be­dürf­nis. Mein Mann trifft sich häu­fi­ger mit ihm, zum Spa­zie­ren. An Ostern wird er bei uns zu Gast sein. Wir wer­den gemein­sam essen und mit ihm auch raus­ge­hen, um in unse­rem klei­nen Gar­ten zu sit­zen. Für ihn bedeu­tet das unheim­lich viel. War­um soll­ten wir ihm die­sen Wunsch ver­weh­ren, wenn wir gleich­zei­tig auch vor­sich­tig sind?
    – Anto­nia Schwarz
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