Können Impfungen die Ausbreitung von COVID-19 eindämmen?

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COVID-19 wird uns noch Wochen und Mona­te beglei­ten. Wir wer­den die mit vie­len Ein­schrän­kun­gen ver­bun­de­ne gefähr­li­che Aus­brei­tung des Erre­gers nur dann in den Griff bekom­men, wenn zwei Rich­tun­gen ein­ge­schla­gen werden:

  1. Maß­nah­men zur Kon­takt­be­schrän­kung, den Abstands- und Hygieneregelungen.
  2. Eine Impf­stra­te­gie, mit der mög­lichst bald Bevöl­ke­rungs­grup­pen erreicht wer­den, die beson­ders gefähr­det sind. Dazu zäh­len auch pfle­ge­risch und medi­zi­ni­sche Beschäf­tig­te, die durch die Betreu­ung und Ver­sor­gung von Coro­na-Infi­zier­ten einer hohen Anste­ckungs­ge­fahr aus­ge­setzt sind.

Die aktu­ell har­ten Ein­schrän­kun­gen ver­fol­gen das Ziel, die Anste­ckungs­ra­te solan­ge zu sen­ken, bis die Gesund­heits­äm­ter wie­der in der Lage sind, die Aus­brei­tung des Virus ver­fol­gen zu kön­nen. Außer­dem ist die inten­siv­me­di­zi­ni­sche Ver­sor­gung von Corona-Patient*innen quan­ti­ta­tiv begrenzt. Kon­sens besteht bis­her dar­in, dass in Deutsch­land Situa­tio­nen ver­mie­den wer­den sol­len, die ein Aus­sor­tie­ren von Patient*innen erfor­der­lich machen wür­de, bei denen sich eine Behand­lung nicht mehr „lohnt“ (Tria­ge). Die in Eng­land, Irland, Däne­mark und Süd­afri­ka neu ent­deck­te B117-Muta­ti­on des Virus lässt befürch­ten, dass Kon­takt­be­schrän­kun­gen, Abstands- und Hygie­ne­re­ge­lun­gen noch sehr lan­ge gel­ten wer­den. Die­se um 50 Pro­zent anste­cken­de­re Vari­an­te trat bereits in Ber­lin, Bay­ern, Sach­sen und Baden-Würt­tem­berg auf. Mit einer Genom-Sequen­zie­rung kann im Rah­men des PCR-Tests die­se Vari­an­te nach­ge­wie­sen wer­den. Zur sys­te­ma­ti­schen Ver­fol­gung von Muta­tio­nen müss­te eine Sequen­zie­rung in Deutsch­land häu­fi­ger als bis­her durch­ge­führt wer­den. https://www.tagesspiegel.de/politik/merkel-besorgt-ueber-corona-mutante-die-angst-vor-b117-droht-nun-der-wirtschafts-lockdown/26785066.html

Ziel: hohe Impfquote von besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen

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Die Bun­des­re­gie­rung hat 300 Mio. Impf­do­sen bestellt, die eine Impf­quo­te von min­des­tens 60 Pro­zent der Bevöl­ke­rung erlaubt. Da die Nach­fra­ge nach Impf­stof­fen welt­weit besteht und die Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zi­tä­ten nicht unbe­grenzt sind, hat die stän­di­ge Impf­kom­mis­si­on (STIKO) eine Emp­feh­lung zur Rei­hen­fol­ge des Imp­fens aus­ge­spro­chen. https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/02_21.pdf?__blob=publicationFile

Nach Deut­schen und euro­päi­schen Stan­dards muss für jeden COVID-19-Impf­stoff vor der Zulas­sung Qua­li­tät, Wirk­sam­keit und Unbe­denk­lich­keit in kli­ni­schen Prü­fun­gen nach­ge­wie­sen und ein güns­ti­ges Nut­zen/­Ri­si­ko-Pro­fil durch die Zulas­sungs­be­hör­de beschei­nigt wer­den. Alle bis­her in Deutsch­land zuge­las­se­nen Impf­stof­fe gegen COVID-19 erhiel­ten eine „beding­te“ Zulas­sung. Eine sol­che Zulas­sung ist nicht mit einer „Not­fall­zu­las­sung“ zu ver­wech­seln, sie ist auf ein Jahr begrenzt und führt auto­ma­tisch zu einer regu­lä­ren Aner­ken­nung des Impf­stoffs, wenn stan­dar­di­sier­te Vor­ga­ben bspw. zu Berichts­pflich­ten, Char­gen­kon­trol­len, Risi­ko­ma­nage­ment ein­ge­hal­ten wer­den. https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2020/12/21/wirrwarr-um-notfall-und-ordentliche-zulassungen

Der zuerst zuge­las­se­ne Impf­stoff von BioNTECH und Pfi­zer muss bei min­des­tens 70 Grad Minus gekühlt; für die Ver­wen­dung in den Impf­zen­tren kann er in han­dels­üb­li­chen Kühl­schrän­ken bei zwei bis acht Grad bis zu fünf Tagen auf­be­wahrt wer­den. Bereits auf­ge­zo­ge­ne Spit­zen sind aber bin­nen zwei Stun­den zu ver­brau­chen oder müs­sen ver­nich­tet wer­den. https://www.aerztezeitung.de/Wirtschaft/BioNTech-gibt-in-Sachen-Impfstoff-Kuehlung-Entwarnung-415201.html

Die Hand­ha­bung des zwei­ten Impf­stof­fes des ame­ri­ka­ni­schen Her­stel­lers Moder­na ist ein wenig ein­fa­cher, weil eine Lage­rung von minus 20 Grad aus­rei­chend ist. Er erhielt von der Zulas­sungs­stel­le der EU am 6. Janu­ar 2021 eine eben­falls beding­te Zulas­sung. Bei­de Impf­stof­fe (von BioNTECH und Moder­na) ver­fü­gen über eine Wirk­sam­keit von 95 Pro­zent. https://www1.wdr.de/nachrichten/themen/coronavirus/so-wirksam-ist-der-moderna-impfstoff-100.html

Bis Ende Janu­ar 2021 wird mit einer Zulas­sung des Impf­stoffs des bri­tisch-schwe­di­schen Phar­ma­kon­zerns Astra­Ze­ne­ca gerech­net. Die­ser kann bei nor­ma­ler Kühl­schrank­tem­pe­ra­tur für sechs Mona­te gela­gert wer­den, aller­dings soll des­sen Wirk­sam­keit nur bei 70 Pro­zent lie­gen. Der Impf­stoff ist aber für eine Imp­fung von grö­ße­ren Bevöl­ke­rungs­grup­pen leich­ter hand­hab­bar und könn­te auch durch nie­der­ge­las­se­ne Ärzt*innen ver­ab­reicht wer­den. Zu den Schwä­chen des Impf­stoffs von Astra­Ze­ne­ca zählt die gerin­ge Betei­li­gung von Studienteilnehmer*innen, die über 70 Jah­re alt waren (6,8 Pro­zent). https://www.fr.de/wissen/corona-impfstoff-astrazeneca-grossbritannien-covid-19-wirksamkeit-nebenwirkungen-biontech-pfizer-moderna-90162200.html

Bewertung der Situation rund um das Impfen

Die Bun­des­re­gie­rung und die Euro­päi­sche Uni­on sind für die Beschaf­fung und Zulas­sung der Impf­stof­fe ver­ant­wort­lich, die ein­zel­nen Bun­des­län­der für die Durch­füh­rung. Dazu haben sie zen­tra­le Impf­stel­len und mobi­le Teams ein­ge­rich­tet. Die mobi­len Impf­teams wer­den zumeist in Pfle­ge­hei­men und Hei­men für geis­tig behin­der­te Men­schen eingesetzt.

Zur Erleich­te­rung der Impf­stra­te­gie wur­de dem Robert-Koch-Insti­tut – RKI die Durch­füh­rung eines Impf­mo­ni­to­ring über­tra­gen. Aus der nach­fol­gen­den Tabel­le wird ersicht­lich, dass die ein­zel­nen Bun­des­län­der sehr unter­schied­lich impfen.

Die nach­fol­gen­de Tabel­le gibt einen Über­blick über die Impf­stra­te­gie der ein­zel­nen Bun­des­län­der, sie wird täg­lich aktualisiert:

FSp. | GRÜNE ALTE Zum Her­un­ter­la­den der aktu­el­len Tabel­le als EXCEL-Datei, hier kli­cken: https://t1p.de/tj7u

Verlauf des Einladungsverfahrens in Berlin

Bis zum 6. Janu­ar wur­den in Ber­lin 18.171 Men­schen in Pfle­ge­hei­men sowie 18.591 Älte­re über 90 Jah­ren, die noch in der eige­nen Häus­lich­keit leben, mit einer ers­ten Dosis des Impf­stoffs von BioNTech geimpft. Hin­zu kom­men knapp 10.000 Beschäf­tig­te aus Pfle­ge­hei­men und Inten­siv­sta­tio­nen, die mit infi­zier­ten Patient*innen arbei­ten. In den kom­men­den Tagen erhal­ten wei­te­re medi­zi­ni­sche Beschäf­tig­te der lan­des­ei­ge­nen Kli­nik­kon­zer­ne Cha­ri­té und Vivan­tes jeweils 2.000 wei­te­re Impf­do­sen zur Immu­ni­sie­rung der Beschäf­tig­ten auf den COVID-19-Stationen.

Unter den Bedin­gun­gen von Impf­stoff­knapp­heit und einer Prio­ri­sie­rung nach Gefähr­dungs­la­ge ist es nicht mög­lich, dass jede und jeder zu einem der in Ber­lin oder anders­wo zuge­las­se­nen Impf­zen­tren fährt und sich ein­fach imp­fen lässt.

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In Ber­lin erhal­ten die Impf­be­rech­tig­ten ein per­sön­li­ches Ein­la­dungs­schrei­ben per Post von der Senats­ver­wal­tung für Gesund­heit, Pfle­ge und Gleich­stel­lung. Das Ein­la­dungs­schrei­ben ent­hält einen indi­vi­du­el­len Code für die Ter­min­be­rech­ti­gung, bei­gefügt sind, ein Auf­klä­rungs­merk­blatt, eine Erläu­te­rung zu Daten­schutz­fra­gen, eine Ein­ver­ständ­nis­er­klä­rung sowie ein Blatt mit der Anbin­dung des Impf­zen­trums an den ÖPNV.

Aus dem Pro­ce­de­re erge­ben sich eini­ge Fra­gen, die sich in der ers­ten Pha­se der Imp­fung in ande­ren Bun­des­län­dern ver­mut­lich in ähn­li­cher Wei­se stellen:

  • Wer Glück hat, kommt mit der Tele­fon­num­mer in ange­mes­se­ner Zeit durch. Um einen Ter­min über eine Hot­line online buchen zu kön­nen, muss man halb­wegs mit dem Inter­net ver­traut sein und zu Hau­se einen WLAN-Anschluss haben. Die­se Vor­aus­set­zun­gen besitzt nur ein Bruch­teil der­je­ni­gen, die zur­zeit als über 80-Jäh­ri­ge gegen Ende Janu­ar in Ber­lin geimpft wer­den sol­len. Wer Ange­hö­ri­ge hat, wird ver­mut­lich die jün­ge­ren Fami­li­en­mit­glie­der um Unter­stüt­zung bit­ten. Fal­len die ande­ren durchs Ras­ter, die die­se Vor­aus­set­zung nicht haben?
  • In Ber­lin wur­de über die Regio­nal­nach­rich­ten des RBB bekannt gege­ben, dass hoch­alt­ri­ge Men­schen kos­ten­los einen Taxi­ser­vice bean­spru­chen kön­nen. https://www.rbb24.de/panorama/thema/corona/beitraege/2021/01/berlin-impfzentrum-senioren-80-jahre-taxi-gratis.html

Die­se Infor­ma­ti­on wird aber in dem Anschrei­ben nicht erwähnt und ist auch in dem ange­ge­be­nen Link nicht zu fin­den. Eine bei­gefüg­te Umge­bungs­kar­te des Impf­stand­orts legt viel­mehr nahe, dass sich die Hoch­be­tag­ten mit dem ÖPNV eigen­stän­dig auf den Weg machen. Aus unse­rer Sicht redu­ziert dies die Wahr­schein­lich­keit, dass sich Men­schen die­se Per­so­nen­grup­pe zu gro­ßen Antei­len imp­fen las­sen, wenn ihnen die­se Infor­ma­ti­on fehlt.

  • Wel­ches Ver­fah­ren ist für hoch­alt­ri­ge Men­schen vor­ge­se­hen, die nicht mehr eigen­stän­dig ihre Woh­nung ver­las­sen kön­nen oder gar bett­lä­ge­rig sind? Wer­den die­se Pfle­ge­be­dürf­ti­gen über mobi­le Impf­teams geimpft? Mit wel­chem ande­ren Kon­zept sol­len Impf­ter­mi­ne für ein­ge­schränkt mobi­le Men­schen orga­ni­siert werden?
  • Wird auch dar­über nach­ge­dacht, die Imp­fung durch Fach­pfle­ge­kräf­te durch­zu­füh­ren in den Fäl­len, in denen die Betrof­fe­nen durch einen Pfle­ge­dienst regel­mä­ßig auf­ge­sucht werden?
  • Wird Imp­fen hier als ärzt­li­che Vor­be­halts­auf­ga­be gese­hen, die nicht von Fach­pfle­ge­kräf­ten durch­ge­führt wer­den darf? Bedarf es dazu ergän­zen­der Regelungen?
  • In Ber­lin exis­tie­ren mehr als 900 Pfle­ge­wohn­ge­mein­schaf­ten mit rund 7.000 Bewohner*innen, in der Demenz­pfle­ge durch­ge­führt wird. Men­schen, die an einer Demenz erkrankt sind, gel­ten auf­grund der kogni­ti­ven Ein­schrän­kun­gen als beson­ders gefähr­det. Wie und durch wen wer­den die­se Pfle­ge­be­dürf­ti­gen geimpft? Wer­den hier – wie bei den Bewohner*innen von Pfle­ge­hei­men – mobi­le Impf­teams ein­ge­setzt, obwohl sie for­mal als ambu­lant ver­sorgt gelten?
  • Die von Sena­to­rin für Gesund­heit, Pfle­ge und Gleich­stel­lung Dilek Kalay­ci, aktu­ell pro­pa­gier­te Wahl­frei­heit der Berliner*innen, mit wel­chem Impf­stoff sie geimpft wer­den wol­len, ist eine „Schein“-Freiheit.
    https://www.rbb24.de/politik/thema/corona/beitraege/2021/01/berlin-impfstoff-moderna-biontech-waehlen-option-kalayci.html
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Solan­ge der Impf­stoff so knapp wie bis­her zur Ver­fü­gung steht, soll­te viel­mehr auf die Lebens­si­tua­ti­on der Impf­be­rech­tig­ten geach­tet wer­den. Ent­schei­dend ist die Fra­ge, wie erreicht wer­den kann, dass die­je­ni­gen, die geimpft wer­den wol­len, auch eine sol­che Imp­fung so früh wie mög­lich erhal­ten kön­nen. Die meis­ten Men­schen wer­den nicht in der Lage sein, die Unter­schie­de zwi­schen Impf­stof­fen selbst beur­tei­len zu können.

  • Auch die Debat­te zur Imp­fung durch nie­der­ge­las­se­ne Ärz­te stellt sich der­zeit nicht, solan­ge nur Impf­stof­fe mit star­ker Küh­lung zur Ver­fü­gung ste­hen. Der weni­ger emp­find­li­che Impf­stoff von Astra­Ze­ne­ca wur­de zudem nur zu einem gerin­gen Anteil an älte­ren Men­schen getestet.

Anto­nia Schwarz, Ber­lin, 11. Janu­ar 2021

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