Patientenverfügungen leisten oft nicht, was von ihnen erwartet wird. Woran liegt es und was lässt sich tun? 4. April 201810. Mai 2020 | Frank Spade Seit 2009 regelt ein Gesetz (§ 1901a und b BGB), dass Patientenverfügungen befolgt werden müssen, wenn sie auf die aktuelle Situation zutreffen und konkrete Anweisungen enthalten. Letzteres wurde 2016 in einem Urteil des BGH in Erinnerung gebracht. Eigentlich also nichts Neues, aber wer liest schon ein Gesetz, bevor er eine Patientenverfügung aufsetzt, zumal im Internet über 400 Angebote zu finden sind, die es scheinbar leichter machen. Tatsächlich gibt es aber erhebliche Unterschiede, was die Reichweite einer Patientenverfügung betrifft, d. h., in welchen Situationen sie beachtet werden muss. Hierzu wurde im § 1901a BGB festgelegt, dass Patientenverfügungen unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung zu beachten sind.Eine Patientenverfügung wird erst benötigt, wenn der eigene Willen nicht mehr kommuniziert werden kann. Selbst wenn das noch geht, fällt es vielen schwer zu entscheiden, auf welche Behandlung sie lieber verzichten wollen, weil die Konsequenzen nicht vollumfänglich verstanden werden.Die allermeisten Patientenverfügungsvorlagen orientieren sich an den Empfehlungen des BMJV von 2004, die in ihrer Reichweitenvorgabe noch sehr eingeschränkt waren. Es gibt einige Angebote, die zulassen, die Reichweite enger oder weiter zu fassen. Das Spektrum geht dabei von Lebensschutz bis Sterbehilfe, wobei die meisten Angebote irgendwo dazwischenliegen.Den größten Lebensschutz dürfte zurzeit jemand haben, der keine Patientenverfügung, aber eine gute Krankenversicherung hat. Dann kann erwartet werden, dass alles getan wird um das Sterben zu verhindern.Dem am nächsten kommt die sog. Christliche Patientenvorsorge, deren Vorgabe die Ablehnung lebenserhaltender Maßnahmen nur im unabwendbaren, unmittelbaren Sterbeprozess oder Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Erkrankung vorsieht. In einer solchen Situation, würde ein ethisch handelnder Arzt aber sowieso nichts mehr tun, um das Sterben zu verhindern, denn es ist ja bereits »unabwendbar«, bzw. der Patient ist »austherapiert«. Hier muss man fragen dürfen: Wem nützt es, dass in anderen aussichtslosen Fällen, eine Sterbeverhinderung durch diese „Patientenvorsorge“ legitimiert erscheint?Am anderen Ende des Spektrums sind die beiden Patientenverfügungsmodelle des Humanistischen Verbands Deutschlands (HVD). Deren Standard-Patientenverfügung hat die Wahlmöglichkeiten erheblich über die Vorgaben des BMJV hinaus erweitert. Zudem wird eine kostenlose Beratung angeboten sowie die qualifizierte Erstellung von Patientenverfügung und Vorsorgevollmachten: www.patientenverfuegung.de/online-patientenverfuegungDie Wahlmöglichkeiten gehen sogar soweit, dass lebensverlängernde Maßnahmen bei Schwerstpflegebedürftigkeit ausgeschlossen werden können und/oder die Behandlung bei schwerer Hirnverletzung zeitlich begrenzt werden kann. Außerdem ist es möglich, Wiederbelebungsmaßnahmen bei Herz-/Kreislaufstillstand absolut auszuschließen.Wer noch am Leben teilhaben und sich selbständig bewegen kann, schließt dadurch eine Wiederbelebung zunächst nicht aus, denn die Patientenverfügung liegt meist zuhause. Wenn aber nach einer fehlgeschlagenen Wiederbelebung, bei Nichteinwilligungsfähigkeit, die Verfügung zur Kenntnis gelangt, muss die weitere Behandlung eingestellt werden. Dann kann man an seiner Erkrankung natürlich versterben, so wie es die Großeltern und alle Generationen davor noch mussten (oder durften), weil die Medizin noch nicht anders konnte.Anders ist es, wenn man bereits pflegebedürftig ist und in einer entsprechenden Einrichtung gepflegt wird. Dann sollte der Inhalt der Patientenverfügung bekannt sein und eine Kopie in der Pflegeakte liegen. Solange es noch geht, können die Pflegenden darauf hinweisen, dass nun auf keinen Fall mehr wiederbelebt werden soll. Dazu kann in der Verfügung auch die Benachrichtigung eines Notarztes ausgeschlossen werden.Leider sind viele Pflegeeinrichtungen nicht bereit, das dann zu respektieren. Vorgeschoben wird die Angst wegen unterlassener Hilfeleistung belangt zu werden. Darum ist es hilfreich, wenn der behandelnde Arzt in einer vorausschauenden Notfallplanung, entsprechende Anweisungen gegeben hat.Noch weiter geht die sog. Optimale Patientenverfügung des HVD, deren Anfänge 25 Jahre zurückliegen. Hier kann für die wichtigsten Behandlungsmöglichkeiten festgelegt werden, ob sie erfolgen sollen oder nicht bzw. in welchen Situationen. Sie geht sogar soweit, dass man sich das Recht vorbehalten kann, sein Leben einmal selber zu beenden. Dafür wird die altehrwürdige Methode des freiwilligen Verzichts auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF) vorgeschlagen.Leider gibt es bisher keine glaubwürdige Instanz, die die Qualität angebotener Patientenverfügungen vergleicht und beurteilt. Unglücklicherweise hat sich die für sowas prädestinierte Stiftung Warentest selber disqualifiziert, indem sie eine eigene Patientenverfügung herausgegeben hat und damit versucht Geld zu verdienen. Bei einem Vergleich würde deutlich werden, dass ihre eigene nicht über die Empfehlungen des BMJV hinausgeht, dafür aber die möglichen Festlegungen teilweise unnötig verkompliziert.Das macht die Situation für einen Vorsorgewilligen natürlich nicht einfacher. Naheliegend wäre, sich von einem Arzt beraten zu lassen, doch dürfte auch diesem der Überblick fehlen, und die Kenntnisse und Bereitschaft eine individuelle Patientenverfügung zu erstellen, denn die Beratung zur Patientenverfügung ist keine kassenärztliche Leistung. Da das Ziel einer Patientenverfügung das Zulassen eines natürlichen Sterbens ist, könnte ein Arzt zudem in einen Gewissenskonflikt kommen, wenn er seine Aufgabe vorrangig in der Lebenserhaltung sieht.Da Ärzte mit Sterbeverhinderung viel Geld verdienen können, kann dies zu einem Interessenskonflikt führen, der in der Qualität der Patientenverfügung zum Ausdruck kommen kann. Aber Ärzte sind nicht von Haus aus qualifiziert zu Patientenverfügungen zu beraten, denn die wenigsten haben Erfahrung mit Sterbenden, auch weil Hausbesuche sich finanziell nicht mehr lohnen. Zudem hat der Gesetzgeber die Beratung zur Patientenverfügung nicht als kassenärztliche Leistung vorgesehen.Mancher meint sich von einem Anwalt oder Notar beraten lassen zu müssen, doch fehlt denen dazu meist die medizinische Qualifikation, sodass sie oft einen vorgefertigten Text benutzen und relativ hohe Gebühren verlangen.Wer genau weiß, was er will, kann sich die passende Patientenverfügung aussuchen, doch dürfte den meisten dafür der Überblick fehlen, denn mittlerweile gibt es über 400 Anbieter. Sich aber mit dem ersten Formular, das einem begegnet, aus Unkenntnis zu begnügen, kann leidvolle Folgen haben.Das gemeinnützige Anbot der Zentralstelle Patientenverfügung des Humanistischen Verbandes bietet online Einsicht in die konkreten Inhalte sowie Vorsorgevollmachten, die kostenlos heruntergeladen und gleich genutzt werden können. Deren kostenlose persönlich oder telefonische Beratung dürfte seinesgleichen suchen.Autor: Frank Spade, Sterbebegleiter und humanistischer Berater zu Patientenverfügung, Vorsorge und Selbstbestimmung am Lebensende, hält auch Vorträge zum Thema
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