Selbsthilfe im Alter – ein Balance-Akt 26. Juni 201420. November 2022 | Bernd GosauIn meiner Jugend gab es die Do-it-yourself-Bewegung: Jetzt-helfe-ich-mir-selbst. Ich besaß ein kleines Auto und hatte ein Handbuch dabei. War etwas kaputt, z. B. brach von der Blattfeder der Radaufhängung ein einzelnes Blatt, kaufte ich in der Werkstatt genau dieses Blatt nach und montierte es nach der Anleitung. Ich sparte so viel Geld.Im Bürgerlichen Gesetzbuch gibt es den § 229 „Selbsthilfe“. Sie „stellt im deutschen Rechtssystem eine Ausnahme zu dem Grundsatz dar, dass die Realisierung privater Ansprüche an staatliche Rechtmittel geknüpft ist. (Sie) ist ausnahmsweise zulässig, wenn ‚obrigkeitliche Hilfe’ nicht rechtzeitig zu erlangen ist“. So gibt es das Pfandrecht des Vermieters, die Selbsthilfe des Besitzers und auch „die Verfolgung eines Bienenschwarmes durch den Eigentümer“. Man darf Selbsthilfe „nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ausüben“.Der Begriff „Organisierte Gruppenselbsthilfe ist eine festgelegte Definition innerhalb des Wohnungsbaus“ und betrifft Bauen in Eigenleistung. „Die gesamte Gruppe der Selbsthelfer/innen arbeitet an allen Häusern des Wohnungsprojektes.“ So entstanden nach dem Kriege Siedlungen für die Flüchtlinge, die sich durch Gärten und Kleinviehställe auch noch selbst versorgen sollten.Selbsthilfegruppen „sind selbst-organisierte Zusammenschlüsse von Menschen, die ein gleiches Problem oder Anliegen haben und gemeinsam etwas dagegen bzw. dafür unternehmen möchten.“ Es gibt in Deutschland etwa 70.000 bis 100.000.Wie nun stellt sich das Problem der Selbsthilfe im Alter dar? Selbstverständlich spielen sparen, eigene Rechtsdurchsetzung, organisierte Gruppenarbeit und die Durchsetzung eines gemeinsamen Anliegens auch hier eine Rolle. Entscheidend aber ist eine völlig andere Gewichtung der Komponenten ‚Selbst’ und ‚Hilfe’. Im Alter wird das ‚Selbst’ zentral. Wenn nicht jetzt – wann dann? Man ist nun autonom (d. h. man könnte nun auch Gesetze selbst machen), unabhängig, selbständig, selbst verwaltet, selbstbewusst, und das alles natürlich freiwillig! Man hat ein eigenes Interesse an der Gesellschaft, man will sich einmischen, man will Bündnisse schließen mit den Jungen, den Einwanderern und den Armen. Man will sich der Gebrechlichkeit des Alters stellen und sich in der geistigen Welt bewegen, die uns durch den Tod nahegebracht wird. Immanuel Kant nennt das „Die Möglichkeit des Menschen, sich durch sich selbst in seiner Eigenschaft als Vernunftwesen zu erkennen“.Was aber ist, wenn das selbstständig nicht mehr geht? Dann braucht man Hilfe. Aber welche? Das wissen wir nicht sofort, das muss erkundet werden. „Aktivierende Hilfeerkundung“ nennt das Professor Andreas Kruse. Mithelfende Familienangehörige – was machen die eigentlich? Sind die Pfleger, bloß nicht professionell? Und was machen die professionellen Pflegedienste, Krankenhäuser, Ambulanzen anders? Und was ist besser? Und muss man sich überhaupt helfen lassen? Und wer bestimmt das? Und was ist mit der „neuen Hölle“, wie ein Journalist der Süddeutschen Zeitung sagt, „der Demenz“? Wie kann man da überhaupt noch ‚helfen’? Professor Kruse spricht davon, dass es auch bei Dementen noch „Inseln des Selbst“ gibt, die es zu aktivieren gilt.Aber ist das alles noch Hilfe und wer soll sie tun? Unter anderem Wir. Das ist heute die Gruppe der Jungen Alten. In der Demographie-Forschung hat es sich eingebürgert, von „Alterskohorten“ zu sprechen. Für eine bestimmte Jahrgangsgruppe treffen gemeinsame Merkmale zu: Die heutige Kohorte der Jungen Alten umfasst die Jahrgänge 1941 bis 1954 – also um 70 herum –, sie müssen nicht mehr arbeiten, sind noch einigermaßen gesund und verfügen noch über ausreichende Geldmittel. Sie fühlen sich ihrer Kohorte gegenüber verantwortlich und wollen aktiv eingreifen. Die 68er gehören dazu, aber sie waren damals eine Minderheit und sind es bis heute geblieben. Es gibt viele Einzelkämpfer unter ihnen und erst allmählich wächst der Zusammenschluss zu solidarischem Handeln. Diese Kohorte wird Träger zukünftiger Entwicklungen sein. Nach oben schließen sich die um 85jährigen als ‚mittlere Alte’ an und die Kohorte der ‚alten Alten’ geht bis ans Lebensende. Nach unten drängen die ‚Babyboomer’ nach, sie sind viele. „1964 bin ich geboren“, sagt einer stolz, „und mit mir weitere 1,2 Millionen. Wir machen, was wir wollen und für euch Ältere interessieren wir uns nicht!“ Recht hat er aus seiner Sicht, wir aus unserer (Ich bin Jahrgang 1941) machen es genauso.Und für meine Kohorte bedeutet es, dass wir unser aktives, autonomes und selbständiges Handeln mit der Hilfe, die wir geben, ausbalancieren müssen. „Altern in Balance?! – Psychische Gesundheit im Alter“ lautete der Titel einer Veranstaltung in Bremen. Dabei geht es um die Austarierung des Lebens insgesamt. Das ist dann eigentlich keine ‚Hilfe’ mehr – das ist Zusammenleben! Die beiden Begriffe durchdringen sich und heben sich auf. So zeigt sich erst im Alter, dass es nicht auf das gegen- oder nebeneinander von ‚professionellen’ Diensten und ‚normalen’ Hilfeleistungen im Alltag ankommt, sondern auf das Miteinander-Leben in Würde. Das ist ein Beitrag der Alten für die Gesellschaft, der so ihre Chance erhält, die Gegenwart mit der Zukunft auszubalancieren.Ich lebe seit 5 Jahren in einer Nachbarschaftsinitiative in einem Vorort von Bremen. Kleine Mietshäuser mit 5 Parteien stehen an der Straße, am Ende ist eine Begegnungsstätte, in der wir unsere Versammlungen abhalten, und daneben liegt ein Mehr-Generationen-Spielplatz, den wir mit entworfen haben. Es begann mit einem Straßenfest und danach entwickelten sich viele Aktivitäten: Vorträge, Radfahrten, Spielen, Singen, Gymnastik , Ausflüge, Feste, Besichtigungen und so fort. Nachdem wir uns einigermaßen kennengelernt hatten, wollten wir auch eine Nachbarschaftshilfe organisieren. Nur wie? Ein Hinweis in unserer Info-Tafel, „Wenn Sie Hilfe brauchen, melden Sie sich“, schien uns zu allgemein zu sein. Und eine Liste hinzuhängen, die unsere Namen und Telefonnummern mit unseren konkreten Hilfsangeboten enthielt, ging schon aus Datenschutzgründen nicht. Nein, es musste etwas dazwischen geschaltet werden: Personen, die man schon länger kannte und die vertrauenswürdig waren. Wir stellten also die Liste mit unseren konkreten Hilfsangeboten zusammen – Glühbirnen auswechseln, Tischlern, Möbelrücken, Behördengänge, Formulierungshilfen usw. – und händigten sie den Vertrauenspersonen aus. Deren Namen und Telefonnummern wurden veröffentlicht und sie vermittelten dann die gewünschte Hilfe.Dieses Angebot wird langsam angenommen. Für die, die nicht direkt betroffen sind, ist es schon nicht mehr sichtbar. Als ich nach längerer Zeit nachfragte, wie es denn mit der Annahme sei, wurde mir versichert, dass der und dem habe geholfen werden können mit Krankenversorgung, Umzugshilfe oder Essensdiensten. Es funktioniert also – langsam zwar, aber da lernt man ja auch das Balancieren besser.(Die unbenannten Zitate sind aus einem Selbsthilfe-Artikel von Wikipedia.)
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