Verpflichtendes Soziales Jahr für alle Rentner

Anmerkungen zur Debatte

Die Möglichkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft, sich einbringen zu können, ist in jedem Lebensalter wünschenswert. Ältere Menschen bleiben damit länger geistig und körperlich fit und leiden weniger an Vereinsamung. Es ist anzunehmen, dass die Teilhabe auch dazu beitragen kann, Pflegebedürftigkeit zu verhindern oder hinauszuzögern.

Portrait von Marcel Fratzscher

Marcel Fratzscher erzeugte mit folgender Forderung jedoch Kopfschütteln: „Wir sollten ein verpflichtendes, soziales Jahr für alle Rentnerinnen und Rentner einführen“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) dem Spiegel. Er forderte darin mehr Solidarität der Alten mit den Jungen.

Als Frau, im 71. Lebensjahr, seit vielen Jahren ehrenamtlich engagiert und seit 2017 als gewählte Seniorenvertreterin aktiv, wundere ich mich über diesen Vorschlag des von mir ansonsten geschätzten Ökonomen. Nach der ersten Verwunderung habe ich mich gefragt, ob sich Marcel Fratzscher mit der Lebensrealität von Menschen im Rentenalter ausreichend auseinandergesetzt hat.

41,4 Prozent der Menschen im Ruhestand sind ehrenamtlich engagiert (Vierter Engagementbericht, S. 16), und zwar nicht nur ein Jahr, sondern die meisten für viele Jahre, solange dies eben gesundheitlich möglich ist. „Die Altersgruppe der 65-Jährigen und Älteren – Menschen dieser Altersgruppe können aufgrund des Ruhestandes in der Regel unabhängig von Erwerbsarbeit agieren – investiert hingegen mehr Zeit pro Woche in ihr Engagement (ebd.: S. 142).“ Ohne das freiwillige Engagement von Älteren in den Bereichen Kultur, Sport, Naturschutz, Nachbarschaftshilfe, Kinder- und Jugendarbeit, Sprachförderung von Migranten, Besuchsdiensten und anderen sozialen Feldern, wäre das Gemeinwesen in Deutschland um einiges ärmer und weniger lebendig.

Zusätzlich sorgen viele Menschen im Rentenalter durch Pflege von An- und Zugehörigen sowie Enkeldiensten dafür, dass ihre Kinder, im erwerbsfähigen Alter, ihrem Beruf nachgehen können.

Wenn wir weiter ein lebendiges Gemeinwesen erhalten wollen, sollten wir stattdessen für einen besseren, diskriminierungsfreien Zugang zur Freiwilligen Arbeit sorgen. Denn Menschen, die an der Grenze zur Altersarmut leben, haben weniger Ressourcen, um sich ehrenamtlich zu engagieren, weil ihnen das Geld für zusätzliche Fahrtkosten fehlt oder weil ihr Leben wenig Anregungen dafür bietet. Menschen mit Migrationshintergrund „werden seltener auf ein Engagement angesprochen und sind seltener im formellen Engagement von etablierten Organisationen vertreten“ (Vierter Engagementbericht 2025, S. 22).

Bei aller Verteilungsdebatte um Generationengerechtigkeit, wäre es an der Zeit uns zu fragen, wie wir die bestehenden Strukturen verbessern können, um eine lebenswerte Gesellschaft zu erhalten.

Aus meiner Sicht sollte das bürgerschaftliche und freiwillige Engagement, von älteren Menschen, freiwillig bleiben und nicht verpflichtend eingeführt werden. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung, denn die Erfahrung zeigt, dass die Zugangsschwellen für informelles Engagement deutlich niedriger sind. Auch die Chancen auf Partizipation sind wichtige Motivatoren. Eine verpflichtende Regelung setzt hingegen den Erlass eines Gesetzes voraus, mit dem u. a. festgelegt wird, in welchen Fällen Ausnahmen bestehen. Zudem bedarf es den Aufbau einer gigantischen Bürokratie voraus, mit der das Geschehen überwacht werden kann.

Antonia Schwarz                                                                Berlin, 24.08.2025

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