Alterssurvey 40+ in Berlin

Lehr
Pro­fes­so­rin Ursu­la Lehr begrüß­te die Gäste

Der Zugang zur Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten in Ber­lin war begehrt, es gab 280 Anmel­dun­gen und nur 250 Plät­ze… Und die Zuhörer*innen wur­den nicht ent­täuscht. Vor­ge­stellt wur­de der Bericht des 5. Alters­sur­vey, die wich­tigs­te, reprä­sen­ta­ti­ve Lang­zeit­stu­die über das Älter­wer­den von Men­schen ab 40.

Ex-Fami­li­en­mi­nis­te­rin Prof. Dr. Ursu­la Lehr hät­te vor 27 Jah­ren nicht im Traum dar­an gedacht, ein­mal am Mikro­fon zu ste­hen, um die fünf­te Stu­die in Fol­ge vor­stel­len zu kön­nen, erzähl­te sie gleich zu Beginn der Tagung.  „Wozu brau­chen wir eine Stu­die über älte­re Men­schen“, frag­te sich damals vor allem die männ­li­chen Kol­le­gen. Frau­en gab es ja noch weni­ge in der Politik…

Staatssekretär
Staats­se­kre­tär Dr. Klein­diek war über­rascht, dass er mit 51 zur Ziel­grup­pe gehört

Das ist zum Glück lan­ge her – und Staats­se­kre­tär Dr. Klein­diek erklär­te nun, wie froh er sei, die­se fun­dier­ten Daten von 1996 bis heu­te zu haben. Die im übri­gen auch allen inter­es­sier­ten Men­schen zum Down­load zur Ver­fü­gung stünden.

Ein biss­chen erschro­cken war unser Staats­se­kre­tär dann doch, dass er mit 51 schon zur Ziel­grup­pe der Stu­die zäh­le. Ihn beru­hig­ten aber die vie­len posi­ti­ven Ergeb­nis­se: „Die Lebens­zu­frie­den­heit der Älte­ren ist gene­rell sehr groß. Die Angst vor dem Älter­wer­den nimmt ab, die posi­ti­ven Alters­bil­der­wer­den mehr. Fami­lie bleibt wich­tig, die Lebens­mo­del­le wer­den bun­ter. Bezie­hun­gen außer­halb der Fami­lie gehö­ren zum sozia­len Netz­werk dazu. Immer mehr älte­re Men­schen über­neh­men ein Ehren­amt – wich­tig für eine Gesell­schaft im demo­gra­fi­schen Wan­del, bedeu­tet es doch Teil­ha­be.“ In der Rush Hour des Lebens fühl­ten sich vie­le Fami­li­en zuneh­mend gestresst – das Leben sei aber zum Glück lang genug, um auch noch spä­ter die gesteck­ten Zie­le zu erreichen…

keck
Vie­le Gesprä­che am Ran­de, hier Dr. Bar­ba­ra Keck von der BAGSO Ser­vice Gesellschaft

Was aller­dings im Lau­fe des Tages immer deut­li­cher wur­de: Vie­le posi­ti­ve Ergeb­nis­se tref­fen über­wie­gend auf Men­schen mit mitt­le­rer oder hoher Bil­dung zu. Men­schen mit weni­ger Bil­dung haben meist auch ein nied­ri­ge­res Ein­kom­men und gesell­schaft­li­che Teil­ha­be ist für sie viel schwieriger.

Frauen in der Gesellschaft

Das trifft auch auf Frau­en zu, die nach wie vor den Groß­teil der Kin­der­er­zie­hung, der Pfle­ge und Sor­ge für Ange­hö­ri­ge über­neh­men. Und das, obwohl sie zuneh­mend öfter erwerbs­tä­tig sind. Oft arbei­ten sie aber in Teil­zeit, mit schlech­ter bezahl­ten Jobs, weni­ger Auf­stiegs­mög­lich­kei­ten. Und das wirkt sich spä­ter eben auf die Ren­te aus, die ent­spre­chend nied­rig aus­fällt. So hän­gen vie­le Frau­en immer noch in der Gen­der-Fal­le fest. Selbst, wenn bei­de Part­ner voll arbei­ten, sind es doch wie­der die Frau­en, die zusätz­lich die meis­te Haus­ar­beit erle­di­gen. (Obwohl bei­de Sei­ten, laut Stu­die, immer dann höchst zufrie­den sind, wenn die häus­li­che Arbeit gerecht auf­ge­teilt wird.)

Enkel wer­den öfter betreut als noch vor ein paar Jah­ren – und von wem? Klar, über­wie­gend von den Omas. Der Anstieg ist ver­mut­lich dadurch zu erklä­ren, dass die gestie­ge­ne Zahl der Kita­plät­ze nicht mit der noch mehr gestie­ge­nen Erwerbs­tä­tig­keit der Müt­ter mit­hal­ten kann.

Berufstätigkeit
Müntefering
Jeder Platz war besetzt in der Aka­de­mie der Wissenschaften

Je bes­ser die Bil­dung, des­to län­ger wird gear­bei­tet. Im Schnitt arbei­ten Men­schen zwi­schen 54 und 65 etw 20 % län­ger als vor 20 Jah­ren. Im Wes­ten öfter als im Osten.

Auch Ruheständler*innen sind zuneh­mend wie­der berufs­tä­tig: meis­tens Män­ner, aus West­deutsch­land, mit höhe­rer Bil­dung. Die meis­ten blei­ben nicht bei ihrem lang­jäh­ri­gen Arbeit­ge­ber, son­dern suchen sich einen neu­en oder arbei­ten freiberuflich.

Zeit­li­che, nerv­li­che und kör­per­li­che Belas­tun­gen­neh­men gene­rell zu, beson­ders häu­fig beschrei­ben das Mit­te bis Ende 50-Jährige.

Alarm schla­gen die Wis­sen­schaft­ler, weil immer mehr Men­schen zunächst arbeits­los wer­den, bevor sie in Ren­te­ge­hen. Mit nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen auf die Höhe der Ren­te! Ver­gli­chen mit 1996 kom­men jetzt schon vier­mal so vie­le Arbeits­lo­se in den Ruhe­stand! Beson­ders oft trifft es ost­deut­sche Frau­en. Und auch hier wirkt sich wie­der das Bil­dungs­ni­veau aus: Je höher es ist, des­to wahr­schein­li­cher ist ein naht­lo­ser Über­gang vom Job in die Rente.

Auch Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund haben in der Regel die schlech­te­re Aus­bil­dung, die weni­ger gut bezahl­ten Jobs und dann die nied­ri­ge­re Rente.

Wohnen

Die meis­ten Men­schen möch­ten im hohen Alter in ihrem gewohn­ten Umfeld woh­nen blei­ben. Das setzt vor­aus, dass wir genug bar­rie­re­ar­men Wohn­raum haben. Dar­an man­gelt es bis­her, das Ange­bot an güns­ti­gem Wohn­raum sinkt sogar. 2014 leb­ten nur 6% aller über 70-Jäh­ri­gen in bar­rie­re­ar­men Wohnungen.

Wohn­kos­ten stei­gen im Ver­gleich zum Ein­kom­men deut­lich an. Beson­ders hoch ist die Miet­be­las­tung für älte­re Sin­gle-Frau­en zwi­schen 70 und 85, sie müs­sen über 45% ihres Ein­kom­mens für Mie­te und Neben­kos­ten zah­len! Men­schen mit Haus­be­sitz geht es bes­ser, über 70-Jäh­ri­ge haben eine durch­schnitt­li­che Belas­tung von etwa 21% ihres Ein­kom­mens. Ihr Anteil hat sich erhöht, lag 2014 bei fast 62% – Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund besit­zen aller­dings sel­te­ner Eigen­tum (knapp 44%). Neue Ungleich­hei­ten ent­ste­hen auch zwi­schen städ­ti­schen und länd­li­chen Regionen.

Ins­ge­samt wird in allen Alters­grup­pen mehr gespor­telt, was sich posi­tiv auf die Gesund­heit aus­wirkt. Aller­dings spie­len auch hier wie­der Infor­ma­ti­on und Auf­klä­rung eine wich­ti­ge Rol­le: Men­schen mit nied­ri­ger Bil­dung, mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund lit­ten an mehr Krank­hei­ten, depres­si­ven Ver­stim­mun­gen und trie­ben weni­ger Sport. Gene­rell soll­ten hier mehr gesund­heits­för­dern­de Maß­nah­men umge­setzt werden.

Familie

Auch wenn in der zwei­ten Lebens­hälf­te weni­ger oft gehei­ra­tet wird und die Ehen nicht mehr so lan­ge hal­ten (ver­gli­chen mit 1996), tei­len die aller­meis­ten Men­schen ihren All­tag mit einer Part­ne­rin oder einem Part­ner. Die emo­tio­na­le Nähe zu Kin­dern und Enkeln ist unge­bro­chen hoch. Und nach wie vor unter­stüt­zen älte­re Gene­ra­tio­nen die jün­ge­ren finan­zi­ell häu­fi­ger als umge­kehrt, mit wach­sen­den Beträ­gen. Die Jün­ge­ren hel­fen dafür im All­tag – aller­dings mit abneh­men­der Ten­denz, ver­mut­lich auf­grund der immer grö­ßer wer­den­den Ent­fer­nun­gen zwi­schen den Wohn­or­ten von Eltern und Kin­dern. Freund*innen wer­den mehr als frü­her zum per­sön­li­chen Netz­werk gezählt und knapp 46% haben engen Kon­takt zu den Nach­barn. Auf dem Land häu­fi­ger als in der Stadt, Älte­re mehr als Jüngere.

Nur etwa 9% aller Men­schen über 40 füh­len sich ein­sam, ihr Anteil hat sich nicht ver­än­dert seit 96, und wird auch im Alter nicht grö­ßer. Dis­ku­tiert wur­de, ob die Dun­kel­zif­fer nicht viel höher läge, da sich wirk­lich ein­sa­me Men­schen ja immer wei­ter ver­krie­chen und nicht unbe­dingt an einer sol­chen Befra­gung teil­näh­men. Ein­sam­keit ist jeden­falls genau­so schäd­lich wie Rau­chen und Blut­hoch­druck. Und auch hier gibt es eine Bezie­hung zur Bil­dung: Je höher die Bil­dung, des­to mehr sozia­le Kon­tak­te hat man und des­to weni­ger Ein­sam­keits­ge­füh­le. BAGSO-Prä­si­dent Franz Mün­te­fe­ring warn­te am Schluss, dass wir auf einem gefähr­li­chen Weg sei­en. Wir müss­ten uns fra­gen: Ist die Gleich­wer­tig­keit von Lebens­chan­cen noch gewähr­leis­tet? Baby­boo­mer und Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund stell­ten uns vor gro­ße Her­aus­for­de­run­gen in den nächs­ten Jah­ren. Die Digi­ta­li­sie­rung sieht er als Chan­ce für Teil­ha­be. Gegen die zuneh­men­de Frau­en­ar­mut müs­se recht­zei­tig etwas getan wer­den. „Wenn Män­ner die Mehr­heit in den Pfle­ge­be­ru­fen hät­ten, dann hät­ten wir die bes­se­ren Gehäl­ter schon durch­ge­setzt, da kön­nen Sie sicher sein!“ Zur Zeit sei aber offen­bar noch das Schrau­ben an Autos wich­ti­ger als das Erzie­hen von Kin­dern! Das müs­se sich drin­gend ändern!

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BAGSO-Prä­si­dent Franz Mün­te­fe­ring warn­te vor einer Gesell­schaft, die kei­ne Chan­cen­gleich­heit mehr gewähr­leis­ten kann

The­men, an denen wir dran blei­ben sollten:

-Vie­le Men­schen wol­len län­ger arbei­ten, immer mehr suchen sich ein Ehren­amt. Fle­xi­ble Arbeits­mo­del­le sind gefragt und ein erwei­ter­ter Arbeits­be­griff, der Pfle­ge, Ehren­amt und Erzie­hung mit einbezieht.

-Die Rush Hour des Lebens dehnt sich bis 65 aus, wir arbei­ten län­ger und ver­sor­gen Kin­der und Eltern.

-Der Pfle­ge­be­darf hoch­alt­ri­ger Men­schen wächst.

-Frau­en, Men­schen in Ost­deutsch­land und Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund geht es mate­ri­ell schlech­ter, was die selbst­stän­di­ge Lebens­füh­rung lang­fris­tig beeinträchtigt.

-Armut trifft bis­her nicht nur Älte­re, son­dern alle Men­schen in stei­gen­dem Maße.

-In Zukunft wird es mehr Alters­ar­mut geben.

-Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, nied­ri­ger Bil­dung und Älte­re über 65 brau­chen mehr prä­ven­ti­ve Gesundheitsprogramme.

-Über Gesund­heits- und Sozi­al-Pro­gram­me im Quar­tier muss noch mehr und effek­ti­ver infor­miert wer­den. Bera­tungs­stel­len wer­den sel­ten wahrgenommen.

 

 

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