#G20-Demo: Fröhlich und friedlich – #Hamburg zeigt Haltung

Die Ham­bur­ger sind fas­sungs­los über soviel Gewalt in der Stadt
Geplün­der­ter Bud­ni­la­den in der Schanze

Die Hamburger*innen sind erschüt­tert, was Polit-Hoo­li­gans unse­rer tole­ran­ten Stadt ange­tan haben: Bren­nen­de Autos, split­tern­de Schau­fens­ter­schei­ben, Plün­de­run­gen, Angrif­fe mit Molo­tow­cock­tails auf die Poli­zei… Für unse­re klei­ne Stra­ße im Nord­os­ten von Ham­burg war es des­halb kei­ne Fra­ge, dass vie­le Nach­barn an den Hafen fuh­ren, um für kon­struk­ti­ve G20-Gesprä­che gewalt­frei zu demons­trie­ren. Noch am Bahn­hof wur­de aller­dings dis­ku­tiert: Auf wel­che Demo gehen wir? Zu „Ham­burg zeigt Hal­tung“, zu der Par­tei­en (auch die Grü­nen), Kir­chen und Umwelt­ver­bän­de auf­ge­ru­fen haben oder zu „Gren­zen­lo­se Soli­da­ri­tät statt G20“, für die u.a. die Lin­ke und über 150 ande­re Grup­pie­run­gen von der GEW bis Robin Wood mobi­li­siert hat­ten? Die Ent­schei­dung ver­lief 50:50, die größ­te Kri­tik an unse­rer Demo: Ihr könnt doch nicht zu einer Ver­an­stal­tung gehen, auf der die SPD mit­mar­schiert, die den G20-Ablauf in die­ser Form mit ver­ant­wor­tet hat! Die Hälf­te unse­rer Freun­de gin­gen also zum Mill­ern­tor, wir zu neunt zur St. Katha­ri­nen Kir­che zu „Ham­burg zeigt Haltung“.

Dort hat­te schon ein Got­tes­dienst statt­ge­fun­den, und es war der soge­nann­te Welt­schal aus­ge­legt, ein Pro­jekt des gemein­nüt­zi­gen Ver­eins Made auf Ved­del e.V. mit der Stadt Ham­burg: im  Jahr 2015 hat­ten Frau­en aus der gan­zen Welt, Künst­le­rin­nen und Geflüch­te­te, die Flag­gen aller Natio­nen in einer Grö­ße von 1,0 X 1,5 Meter gestrickt, gehä­kelt und genäht. Her­aus kam ein Schal von etwa 370 Meter Län­ge, den wir nun gemein­sam mit Hun­der­ten von Men­schen von der St. Katha­ri­nen Kir­che bis zum Fisch­markt tru­gen. Mit 10.000 Teilnehmer*innen war gerech­net wor­den, spä­te­re Schät­zun­gen reich­ten von 5000 bis 10.000 Demonstranten.

 

Von links nach rechts: Die Ham­bur­ger Grü­nen u.a. mit der Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Anja Haj­duk, der Bür­ger­schafts­ab­ge­ord­ne­ten Chris­tia­ne Blö­me­ke, der Lan­des­vor­sit­zen­den Anna Gal­li­na, den Sena­to­ren Till Stef­fen und Jens Ker­stan, dem Bür­ger­schafts­ab­ge­ord­ne­tem Olaf Duge (ganz rechts)
Vie­le hun­dert Men­schen tru­gen den Weltschal

Wir waren mit einem gro­ßen grün-bun­ten Block dabei, mit Regen­schir­men und Fah­nen – die Schir­me haben wir zum Glück nicht gegen den Regen gebraucht. Die Stim­mung war bes­tens. Zwi­schen­durch gab es Musik, eine Oldie-Grup­pe stand am Rödings­markt, ein biss­chen Sam­ba kam beim Elb­tun­nel dazu. Rosa Luft­bal­lons wur­den ver­teilt und Schil­der für Kli­ma­schutz, Gerech­tig­keit, Tole­ranz und Demo­kra­tie konn­te man gegen eine Spen­de erwer­ben. Vie­le hat­ten sich aber sehr krea­tiv ihre eige­nen Trans­pa­ren­te und Schil­der gemalt. Eini­ge pro­tes­tier­ten gegen die Gewalt­ta­ten des schwar­zen Blocks in der Nacht davor und distan­zier­ten sich davon.  Das The­ma Gewalt war zum alles domi­nie­ren­den The­ma gewor­den, die Inhal­te von G20 rutsch­ten dar­über zuneh­mend in den Hintergrund.

Beim Fisch­markt gab es Buden der Ver­an­stal­ter, auch von uns Grü­nen; die Rei­hen hat­ten jedoch Lücken, z.B. bei den Food Trucks; so man­cher hat­te wohl befürch­tet, dass es wie­der zu Zwi­schen­fäl­len kom­men könn­te. Des­halb habe man für die Abschluss­kund­ge­bung auch kei­nen Gebär­den-Dol­met­scher gefun­den, hieß es. Dafür bedank­te man sich aber um so mehr bei allen, die gekom­men waren und den Mut gehabt hat­ten, auf die Stra­ße zu gehen.

Haupt­red­ner waren die Ber­li­ner Poli­tik­wis­sen­schaft­le­rin und Pro­fes­so­rin Gesi­ne Schwan und der Bür­ger­meis­ter von New York, Bill de Bla­sio. Gesi­ne Schwan gra­tu­lier­te Ham­burg zu der Ver­an­stal­tung, „das Meer von klu­gen Köp­fen, das ich sehe, ist beein­dru­ckend.“  Sie rief dazu auf, sich zu fra­gen, woher denn so viel Hass und Gewalt kämen, die wir in den letz­ten Tagen erlebt hät­ten, „die sind nicht vom Him­mel gefal­len. Die­sen Teu­fels­kreis müs­sen wir durch­bre­chen… Wir müs­sen uns grund­sätz­lich fra­gen, ist G20 sinn­voll? Natür­lich müs­sen alle mit­ein­an­der reden, reden ist unschlag­bar – aber das darf nicht zur Pro­pa­gan­da-Akti­on für Regie­rungs­chefs wer­den.“ Sie habe dar­über hin­aus nicht den Ein­druck, dass man wirk­lich mit­ein­an­der rede. Und ihr sei nicht klar, ob G20 wirk­lich ver­nünf­tig ist.

Eine coo­le Oldie-Band sorg­te für gute Stimmung

Wir müss­ten Nach­hal­tig­keits­zie­le bis 2030 errei­chen, im Vor­feld wur­de schon viel dazu gear­bei­tet: „Die Zivil­ge­sell­schaf­ten müs­sen an Abschaf­fung von Armut und Epi­de­mien arbei­ten, auch Armut ist Gewalt, Poli­ti­ker machen oft nicht genug. Erdo­gan, Szyd­lo, Orban, Trump, Putin, so vie­le Regie­rungs­chefs miss­ach­ten den Rechts­staat, wir dür­fen uns nicht mit Deals von denen abhän­gig machen!… Beim Han­del geht es um Fair­ness, um Kli­ma­po­li­tik, nicht um ein­zel­ne klei­ne Inves­ti­tio­nen. Wir müs­sen die Flucht­ur­sa­chen bekämp­fen. Wir brau­chen weni­ger Gla­mour, weni­ger rote Tep­pi­che und mehr ech­te har­te Arbeit!“ Viel Applaus von allen Seiten!

Es waren wie­der alle Gene­ra­tio­nen dabei – und vie­le Nachbar*innen aus mei­ner Straße

Der SPD Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de Andre­as Dressel und Tha­lia-Inten­dant Joa­chim Lux, führ­ten Bill de Bla­sio ein, Bür­ger­meis­ter von New York und erklär­ter Trump­geg­ner, der zum lin­ken Flü­gel der Demo­kra­ten zählt. Er hat­te am Vor­mit­tag schon im Tha­lia Thea­ter gere­det und stand jetzt zusam­men mit sei­nem Sohn auf der Büh­ne – der hat­te näm­lich gera­de ein Aus­lands­jahr in Deutsch­land bei der SPDna­hen Fried­rich-Ebert-Stif­tung absol­viert. De Bla­sio appel­lier­te an die mode­ra­te Mit­te,  aktiv und sicht­bar zu wer­den. „Krea­ti­ver und kon­struk­ti­ver Pro­test sind wich­tig – aber nicht das, was wir in den letz­ten zwei Tagen in Ham­burg erlebt haben, das gehört nicht hier­her! Das ist nicht Ham­burg.“ Er schick­te soli­da­ri­sche Grü­ße vom Big Apple zur Frei­en und Han­se­stadt Ham­burg – er mag die­sen Titel ganz beson­ders! Die bei­den Städ­te hät­ten so viel gemein­sam, sie sei­en bei­de tole­rant, kos­mo­po­li­tisch, wür­den Diver­si­tät respek­tie­ren und ach­ten. „Ham­burg ist aller­dings ein biss­chen lau­ter als New York, aber das ist viel­leicht auch nur in die­sen Tagen so…“ So wie hier heu­te sieht für ihn Demo­kra­tie aus. Wir müs­sen selbst dafür sor­gen, die Zukunft bes­ser zu machen, soll­ten fried­lich zusam­men sein. „Lasst euch nicht abhal­ten, ihr steht für Demo­kra­tie, ihr ver­kör­pert sie.“ Er setzt auf die Gras­wur­zel-Bewe­gung. In New York gäbe es jetzt viel mehr Pro­test als in den Jah­ren zuvor. Die Leu­te sind es, die den Wech­sel mög­lich machen. Wir brau­chen die Regie­rung nicht, dür­fen nicht abwar­ten, son­dern gehen Stadt für Stadt vor. Ame­ri­ka ist nicht gebro­chen. Wir sind gera­de dabei, unse­re Iden­ti­tät zu fin­den. Wir kön­nen den Kli­ma­wan­del in New York und in Ham­burg stop­pen. „Wir haben viel zu tun, Freun­de. Bleibt fokus­siert, die Zukunft unse­rer Erde hängt von euch ab.  Respek­tiert alle Men­schen, wenn Respekt da ist, gibt es kei­nen rech­ten Populismus.“ 

Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der Anjes Tjarks mit dem New Yor­ker Bür­ger­meis­ter und sei­nem Sohn
Das Kom­mu­ni­ka­ti­ons Team der Poli­zei soll­te für Dees­ka­la­ti­on sorgen…

Anjes Tjarks durf­te auf der Büh­ne noch ein­mal nach­fra­gen: „Wenn der Prä­si­dent ver­sagt, was sol­len wir tun?“De Bla­sio beton­te, das es neben Trump noch ein ande­res Ame­ri­ka gäbe, und das sei die Mehr­heit! „Die Mehr­heit will den Kli­ma­wan­del ver­hin­dern. Wir wer­den das allein machen! Wir war­ten nicht, weil die Erde nicht war­ten kann! Es hängt an uns allen!“ Das waren ein­fa­che, mut­ma­chen­de Wor­te, Bal­sam für die gewalt­stra­pa­zier­ten See­len der Zuhörer*innen, die sich mit viel Bei­fall dafür bedankten.

Trotz­dem kam es mir ein biss­chen wie eine SPD-Ver­an­stal­tung vor. Und als ich eben noch die Pres­se­mit­tei­lung vom NABU-Vor­sit­zen­den Alex­an­der Porsch­ke las, bin ich noch mehr ins Grü­beln gekom­men. Er sagt dort: „Bünd­nis­po­li­tisch hat die Ori­en­tie­rung auf die „Hal­tung-Ham­burg“ Demo uns von einem gro­ßen Poten­ti­al jun­ger, gesell­schafts­kri­ti­scher Kräf­te iso­liert. Ich bedau­re das sehr, weil ich mit dem gesell­schaft­li­chen Sta­tus Quo alles ande­re als zufrie­den bin und davon aus gehe, dass es ohne Antrei­ber aus der Gesell­schaft her­aus, sehr schwer wer­den dürf­te, not­wen­di­ge poli­ti­sche Ände­run­gen zu errei­chen. Für die GRÜNEN dürf­te die­se Ori­en­tie­rung den ohne­hin schon schwer erkenn­ba­ren Unter­schied zur SPD-Poli­tik noch klei­ner gemacht haben. Damit wer­den lei­der auch die Grün­de, sie zu wäh­len weni­ger. Sehr schade.“

…genau­so wie freund­lich win­ken­de Polizisten

Unse­re Freun­de tra­fen wir abends in Volks­dorf wie­der, begeis­tert von einer gro­ßen, phan­ta­sie­vol­len und eben­falls so gut wie fried­li­chen Demo mit 50.000 bis 76.000 Teilnehmer*innen.

Am Sonn­tag wur­de in der Stadt auf­ge­räumt: Hun­der­te von Frei­wil­li­gen put­zen Stra­ßen und Häu­ser­wän­de, die Schan­ze sieht (fast) aus wie neu! (Bis auf die gro­ßen Brand­fle­cken im Asphalt.)

Am Diens­tag, 11.7. wird es um 20 Uhr in den Räu­men der GLS-Bank, Düs­tern­stra­ße 10, 20355 Ham­burg (S‑Bahn Stadt­haus­brü­cke, U‑Bahn Rödings­markt) einen Mit­glie­der­abend geben, bei dem es um eine grü­ne Auf­ar­bei­tung von G20 gehen soll. Ich bin gespannt.

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