Plädoyer der Bundestagsfraktion für ein neues Denken der Pflegeversicherung

Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, 07/2019

Vie­le Men­schen in Deutsch­land ken­nen das Pro­blem: Sie selbst sind auf Pfle­ge ange­wie­sen oder es gibt plötz­lich einen Pfle­ge­fall in der Fami­lie und man möch­te schnell dafür sor­gen, dass die betrof­fe­ne Per­son gut ver­sorgt ist. Doch das auf die Bei­ne zu stel­len, ist neben dem Beruf und dem sons­ti­gen Fami­li­en­le­ben kei­nes­falls eine leich­te Auf­ga­be. Es kann zu einer ech­ten Her­aus­for­de­rung wer­den, die Zeit dafür auf­zu­brin­gen und die nöti­gen Infor­ma­tio­nen für eine von den Pfle­ge­be­dürf­ti­gen gewoll­te Betreu­ung zu Hau­se ein­zu­ho­len. Hat man als Pflegebedürftiger*r oder Angehörige*r dann Pfle­ge­diens­te gefun­den und bei ihnen ange­fragt, hagelt es nicht sel­ten Absa­gen, weil das Per­so­nal fehlt und vie­le Pfle­ge­diens­te über­las­tet sind. Und wenn man doch end­lich eine Ver­sor­gung orga­ni­sie­ren konn­te, kann es schnell teu­rer wer­den. Ver­schlim­mert sich der eige­ne gesund­heit­li­che Zustand oder der der gelieb­ten Per­son und wird der Pfle­ge­be­darf höher und ist viel­leicht sta­tio­nä­re Pfle­ge erfor­der­lich, kön­nen die Kos­ten für die Pfle­ge­be­dürf­ti­gen schnell aus dem Ruder lau­fen. Nicht sel­ten steht dann der Gang zum Sozi­al­amt bevor, vor dem sich vie­le Pfle­ge­be­dürf­ti­ge und ihre Ange­hö­ri­gen fürch­ten oder sogar davor zurück­schre­cken. Nie­mand weiß schon im Vor­aus, wie Auf­wand und Kos­ten für die Pfle­ge sein oder sich ent­wi­ckeln wer­den. Es ist in Deutsch­land trotz Pfle­ge­ver­si­che­rung kei­nes­falls sicher­ge­stellt, dass alle Men­schen für sich oder ihre pfle­ge­be­dürf­ti­gen Ange­hö­ri­gen eine pas­sen­de Ver­sor­gung fin­den und sie die Kos­ten der Pfle­ge tra­gen können.

Bereits seit 2016 for­dert die grü­ne Bun­des­tags­frak­ti­on für berufs­tä­ti­ge Ange­hö­ri­ge und Freund*innen von Pfle­ge­be­dürf­ti­gen eine drei­mo­na­ti­ge Aus­zeit mit Lohn­er­satz­leis­tung, um die Pfle­ge zu orga­ni­sie­ren (Pfle­ge­Zeit Plus). Nun wol­len wir die Pfle­ge selbst plan­ba­rer und bezahl­ba­rer machen und schla­gen mit der dop­pel­ten Pfle­ge­ga­ran­tie eine grund­le­gen­de Reform der Pfle­ge­ver­si­che­rung vor.

Wir müs­sen heu­te die Wei­chen für eine gute Pfle­ge in den nächs­ten Jahr­zehn­ten stel­len. Um im Bild zu blei­ben: Wir müs­sen die gan­ze Pfle­ge­struk­tur, das not­wen­di­ge Schie­nen­netz, die Züge, die Bahn­hö­fe, die Anschlüs­se bis zu Hau­se am Pfle­ge­be­darf der Zukunft aus­rich­ten. Dazu braucht es eini­ge Umbau­maß­nah­men, die mit­ein­an­der abge­stimmt wer­den müs­sen. Wir kön­nen bei der Pfle­ge, auf die sich alle Men­schen im Alter ver­las­sen wol­len, nicht immer nur repa­rie­ren und nach­bes­sern. Wir brau­chen ein vom Grun­de auf ver­läss­li­ches und zukunfts­fä­hi­ges Ange­bot für alle.

Die dop­pel­te Pfle­ge­ga­ran­tie ist dabei ein wich­ti­ger Stre­cken­ab­schnitt, an dem heu­te die Arbeit begin­nen soll­te. Denn je län­ger wir war­ten, des­to kom­pli­zier­ter wird es: In ca. zehn Jah­ren wer­den die ers­ten gebur­ten­star­ken Jahr­gän­ge der „Babyboomer“-Generation in das Alter kom­men, in dem das Risi­ko pfle­ge­be­dürf­tig zu wer­den deut­lich zunimmt. Pro­gnos­ti­ziert wird, dass im sozia­len Zweig der Pfle­ge­ver­si­che­rung die Zahl der pfle­ge­be­dürf­ti­gen Men­schen zwi­schen 2017 und 2050 um gut 60 Prozent1 steigt. Das stellt uns vor gro­ße Herausforderungen.

Schon heu­te ist der Fach­kräf­te­man­gel in vie­len Bran­chen beson­ders aber in der Pfle­ge spür­bar. Die Kon­kur­renz um die­se Arbeits­kräf­te wird sich ver­schär­fen: Das Sta­tis­ti­sche Bun­des­amt pro­gnos­ti­ziert, dass im Jah­re 2060 nur noch die Hälf­te der Bevöl­ke­rung im erwerbs­fä­hi­gen Alter sein wird. Auch die Zahl der­je­ni­gen, die die Pfle­ge von Ange­hö­ri­gen und Freund*innen über­neh­men kön­nen, wird rela­tiv – im Ver­hält­nis zur stei­gen­den Zahl Pfle­ge­be­dürf­ti­ger- wei­ter sin­ken. Sowohl der pro­fes­sio­nel­len als auch der Lai­en­pfle­ge droht ein Man­gel an Pflegenden.

Ohne auf­ein­an­der abge­stimm­te und viel­fäl­ti­ge Gegen­maß­nah­men wird die Sche­re zwi­schen Nach­fra­ge und Ange­bot in der Pfle­ge immer wei­ter aus­ein­an­der­klaf­fen. Ohne die­se Gegen­maß­nah­men droht ein mas­si­ver Pfle­ge­not­stand, bei dem zu befürch­ten ist, dass vie­le Älte­re pro­fes­sio­nel­le Pfle­ge­leis­tun­gen ent­we­der nicht erhal­ten oder nicht bezah­len kön­nen und (teil­wei­se) unver­sorgt blei­ben. Damit dies nicht ein­tritt, wol­len wir mit der Gesell­schaft an einem neu­en Schie­nen­netz arbei­ten, damit der Zug in Rich­tung guter Pfle­ge Fahrt auf­nimmt. Ziel ist eine zukunfts­si­che­re Pfle­ge­ver­si­che­rung mit einer soli­da­ri­schen Absi­che­rung des Pflegebedürftigkeitsrisikos.

DIE IDEE DER DOPPELTEN PFLEGEGARANTIE

Die grü­ne Bun­des­tags­frak­ti­on setzt sich für eine umfas­sen­de Reform der Pfle­ge­ver­si­che­rung ein, die dafür sorgt, dass alle pfle­ge­be­dürf­ti­gen Men­schen die Pfle­ge erhal­ten, die sie benö­ti­gen und die Kos­ten dafür für sie begrenzt sind.

Wir garan­tie­ren zum ers­ten: Die finan­zi­el­le Vor­sor­ge für die selbst auf­zu­brin­gen­den Pfle­ge­kos­ten wird ver­läss­lich plan­bar. Der Pfle­ge-Eigen­an­teil, den Pfle­ge­be­dürf­ti­ge monat­lich selbst für die Pfle­ge tra­gen, wird künf­tig fest­ge­schrie­ben und gedeckelt.

Wir garan­tie­ren zum zwei­ten: Die Pfle­ge­ver­si­che­rung über­nimmt in Zukunft alle dar­über hin­aus gehen­den pfle­ge­ri­schen Kos­ten für eine bedarfs­ge­rech­te Ver­sor­gung. Damit wol­len wir errei­chen, dass in Zukunft alle Pfle­ge­be­dürf­ti­gen die für sie not­wen­di­gen, am kon­kre­ten Bedarf ori­en­tier­ten Pfle­ge­leis­tun­gen erhal­ten – wir wol­len damit die Unter­ver­sor­gung, die ins­be­son­de­re bei der häus­li­chen Pfle­ge vor­kom­men kann, beseitigen.

DIE WIRKUNG DER DOPPELTEN PFLEGEGARANTIE

  • Sie bie­tet Ver­läss­lich­keit und finan­zi­el­le Plan­bar­keit, weil kla­rer abge­schätzt wer­den kann, wel­che Kos­ten für die Pfle­ge auf eine*n zukom­men. Und das nicht nur für die heu­te schon Pfle­ge­be­dürf­ti­gen, son­dern auch mit­tel- und langfristig.
  • Sie min­dert das Armuts­ri­si­ko im Alter, weil Erspar­nis­se nicht von stei­gen­den Pfle­ge­kos­ten auf­ge­fres­sen werden.
  • Sie ent­las­tet Kom­mu­nen finan­zi­ell, weil weni­ger Men­schen Sozi­al­hil­fe über die „Hil­fe zur Pfle­ge“ bean­tra­gen müssen.

(Anmer­kung: 1 Quel­le: BMG Zah­len und Fak­ten zur Pfle­ge­ver­si­che­rung, Stand 11. Juli 2018, S. 14 Stand 2017: 3,3 Mil­lio­nen, 2050 5,32 Mil­lio­nen unter der Annah­me kon­stan­ter alters­spe­zi­fi­scher Pflegewahrscheinlichkeiten.Die Stei­ge­run­gen im pri­va­ten Zweig wer­den wegen der aktu­ell noch deut­lich güns­ti­ge­ren Alters­struk­tur der Ver­si­cher­ten um eini­ges höher sein.)

  • Sie schafft mehr Soli­da­ri­tät, denn sie ver­teilt das Risi­ko stei­gen­der Pfle­ge­kos­ten von weni­gen auf vie­le Schul­tern – von den Pfle­ge­be­dürf­ti­gen auf alle Beitragszahler*innen – Ver­si­cher­te und Arbeitgeber*innen.
  • Sie ent­las­tet und unter­stützt Pfle­ge­be­dürf­ti­ge und ihre Ange­hö­ri­gen, weil die­se zukünf­tig bes­ser infor­miert, bera­ten und falls not­wen­dig bei der Aus­wahl der Leis­tun­gen beglei­tet werden.

Die Idee ist ein­fach, die Umset­zung jedoch anspruchs­voll. Die Bun­des­tags­frak­ti­on Bünd­nis 90/Die Grü­nen will mit die­sem Eck­punk­te­pa­pier dazu bei­tra­gen, die Wei­chen für eine zukunfts­fä­hi­ge Pflege(-versicherung) zu stel­len. Da für die Umset­zung ein brei­ter poli­ti­scher und gesell­schaft­li­cher Kon­sens wich­tig ist, appel­lie­ren wir an alle Betei­lig­ten, sich an der Debat­te zu betei­li­gen und gemein­sam die Wei­chen für die dop­pel­te Pfle­ge­ga­ran­tie zu stellen.

DIE AKTUELLE BELASTUNG PFLEGEBEDÜRFTIGER IN DER STATIONÄREN PFLEGE

Die heu­ti­ge Pfle­ge­ver­si­che­rung ist eine Teil­kos­ten­ver­si­che­rung: Eine pfle­ge­be­dürf­ti­ge Per­son erhält von der Ver­si­che­rung je nach Pfle­ge­grad einen Zuschuss für die Pfle­ge zwi­schen 125 und 2.005 Euro im Monat. Pfle­ge­be­dürf­ti­ge, die im Pfle­ge­heim leben, erhal­ten die Pfle­ge­leis­tun­gen als soge­nann­te Sach­leis­tun­gen. Die­se wer­den von den Betreiber*innen direkt mit der Ver­si­che­rung abge­rech­net. Das Geld der Pfle­ge­ver­si­che­rung reicht jedoch nicht aus, um alle Kos­ten, die für die Pfle­ge anfal­len, abzu­de­cken. Das heißt, dass alles, was Pfle­ge über die Zuschüs­se der Pfle­ge­ver­si­che­rung hin­aus kos­tet, von den Pfle­ge­be­dürf­ti­gen oder ihren Ange­hö­ri­gen selbst bezahlt wer­den muss. Für die Pfle­ge im Heim sind dies der­zeit durch­schnitt­lich etwa 680 Euro/Monat – Ten­denz stei­gend. Bei der Ein­füh­rung der Pfle­ge­ver­si­che­rung deck­ten die­se Zuschüs­se die durch­schnitt­li­chen Pfle­ge­kos­ten voll ab.

Der der­zeit begrenz­te Zuschuss aus der Pfle­ge­ver­si­che­rung führt außer­dem dazu, dass jede kos­ten­re­le­van­te Ver­bes­se­rung im Zusam­men­hang mit der Pfle­ge, wie z.B. mehr Per­so­nal oder die ange­mes­se­ne tarif­li­che Bezah­lung der Pfle­ge­kräf­te, direkt von den Pfle­ge­be­dürf­ti­gen selbst zu zah­len ist. Die­se Kos­ten sind für sie weder im Vor­aus plan­bar noch von ihnen beein­fluss­bar. Damit ist eine ver­läss­li­che Vor­sor­ge für die Pfle­ge im Alter nicht mög­lich. Die „Kon­zer­tier­te Akti­on Pfle­ge“ der Bund­e­re­gie­rung for­dert genau sol­che Ver­bes­se­run­gen ohne jedoch vor­zu­schla­gen, wie dies ohne die allei­ni­ge Belas­tung der Pfle­ge­be­dürf­ti­gen finan­ziert wer­den soll.

UNSERE ANTWORT FÜR PFLEGEBEDÜRFTIGE IN DER STATIONÄREN PFLEGE

Durch die dop­pel­te Pfle­ge­ga­ran­tie sol­len Pfle­ge­be­dürf­ti­ge zukünf­tig einen fes­ten Betrag für die sta­tio­nä­re Pfle­ge zah­len – deut­lich unter­halb der aktu­ell durch­schnitt­li­chen rund 680 Euro/Monat. Alle dar­über hin­aus gehen­den Pfle­ge­kos­ten soll die Pfle­ge­ver­si­che­rung über­neh­men. Mit die­sem in der wis­sen­schaft­li­chen Dis­kus­si­on „Sockel-Spit­ze-Tausch“ genann­ten Vor­schlag wer­den die Kos­ten der Pfle­ge für die Pfle­ge­be­dürf­ti­gen sofort gesenkt, auf Dau­er gede­ckelt und damit für sie berechenbar.

DIE AKTUELLE BELASTUNG PFLEGEBEDÜRFTIGER IN DER AMBULANTEN PFLEGE

Etwa drei Vier­tel aller Pfle­ge­be­dürf­ti­gen leben zu Hau­se und wer­den in der Regel durch Ange­hö­ri­ge, Freund*innen, Nachbar*innen und frei­wil­lig Enga­gier­te unter­stützt, beglei­tet und gepflegt. Rund ein Drit­tel davon nimmt zusätz­lich pro­fes­sio­nel­le Hil­fe durch Pfle­ge­kräf­te in Anspruch. Die Pfle­ge­be­dürf­ti­gen erhal­ten im ambu­lan­ten Bereich ins­be­son­de­re soge­nann­te Geld- oder Sachleistungen2 oder eine Kom­bi­na­ti­on von bei­dem. Ob bzw. wie die Geld­leis­tun­gen tat­säch­lich zur Pfle­ge ein­ge­setzt wer­den, ist unbe­kannt. Dies hängt auch davon ab, ob und von wem sich die Pfle­ge­be­dürf­ti­gen hel­fen las­sen wol­len. Dabei spie­len auch sozia­le, kul­tu­rel­le und per­sön­li­che Grün­de, wie z.B. die Selbst­stän­dig­keit mög­lichst lan­ge erhal­ten zu wol­len, eine wich­ti­ge Rol­le. Durch den Betrag der Pfle­ge­ver­si­che­rung wird jedoch auch im ambu­lan­ten Bereich nur ein Teil der not­wen­di­gen Pfle­ge abgedeckt.3 Wel­che Leis­tun­gen bei der Pfle­ge zu Hau­se zusätz­lich zu den von der Ver­si­che­rung über­nom­me­nen Kos­ten in Anspruch genom­men wer­den, ent­schei­det sich in der Regel danach, was pfle­ge­be­dürf­ti­ge Men­schen oder deren Ange­hö­ri­gen zah­len wol­len oder kön­nen. Das ent­spricht oft nicht der Unter­stüt­zung, die Pfle­ge­be­dürf­ti­ge tat­säch­lich benö­ti­gen. Es kann bei der Pfle­ge zu Hau­se zu einer Unter­ver­sor­gung kom­men, da Pfle­ge­be­dürf­ti­ge etwa zuguns­ten der Kin­der oder Enkel*innen spa­ren und auf drin­gend benö­tig­te Leis­tun­gen ver­zich­ten. Beson­ders unge­recht ist es, wenn Pfle­ge­be­dürf­ti­ge mit klei­ner Ren­te sich zusätz­li­che Pfle­ge nicht leis­ten kön­nen und sich schä­men „Hil­fe zur Pfle­ge“ zu bean­tra­gen. Sie wer­den dann schlech­ter gepflegt als die­je­ni­gen, die ein hohes Ein­kom­men haben. Die­se sozia­le Benach­tei­li­gung wol­len wir abschaffen.

UNSERE ANTWORT FÜR PFLEGEBEDÜRFTIGE IN DER AMBULANTEN PFLEGE

Wir wol­len, dass Pfle­ge­be­dürf­ti­ge zukünf­tig die Leis­tun­gen erhal­ten, die wirk­lich benö­tigt wer­den, und dass die dafür not­wen­di­gen Ange­bots­struk­tu­ren auf­ge­baut wer­den, die dafür Sor­ge tra­gen (kön­nen). Dazu müs­sen Pfle­ge­be­dürf­ti­ge und deren Ange­hö­ri­ge bes­ser infor­miert, bera­ten und, wenn not­wen­dig, aus­führ­lich beglei­tet wer­den. Sie sol­len durch ein Case-Manage­ment, d.h. eine indi­vi­du­el­le pro­fes­sio­nel­le Bera­tung und Beglei­tung, bes­ser unter­stützt wer­den, um die not­wen­di­gen Pfle­ge­leis­tun­gen pas­send aus­zu­wäh­len, geeig­net zusam­men­zu­stel­len und zweck­mä­ßig zu orga­ni­sie­ren. Wir erwar­ten, dass in die­se Bera­tung auch Anträ­ge auf Leis­tun­gen etwa der Kran­ken­ver­si­che­rung oder der „Hil­fe zur Pfle­ge“ inte­griert werden.

Die grü­ne Bun­des­tags­frak­ti­on will, gemein­sam mit Län­dern und Kom­mu­nen, einen Weg fin­den, dass das bei der „Hil­fe zur Pfle­ge“ ein­ge­spar­te Geld von allen Gemein­den ein­ge­setzt wird, um für ein viel­fäl­ti­ges sozia­les und pfle­ge­ri­sches Ange­bot vor Ort zu sor­gen, z.B. für Quar­tiers­ma­nage­ment sowie Tages- und Kurzzeitpflege. 

(Anmer­kun­gen:

2 Sach­leis­tun­gen sind hier die Unter­stüt­zung durch Pfle­ge­diens­te, die direkt von die­sen mit der Ver­si­che­rung abge­rech­net werden.

3 Wäh­rend im sta­tio­nä­ren Sek­tor der pfle­ge­be­ding­te Eigen­an­teil prä­zi­se aus­ge­wie­sen wird, fehlt eine ähn­lich kla­re Kenn­zahl im ambu­lan­ten Bereich. Hier muss auf Befra­gungs­da­ten zurück­ge­grif­fen wer­den. Vor­lie­gen­de Daten für 2016 berück­sich­ti­gen nicht, dass zwi­schen­zeit­lich wei­te­re Leis­tun­gen durch die Pfle­ge­ver­si­che­rung finan­ziert wer­den. Die­se Ver­än­de­run­gen berück­sich­ti­gend, wer­den im ambu­lan­ten Bereich durch­schnitt­li­chen selbst getra­ge­ne Pfle­ge­aus­ga­ben in Höhe von 125 Euro / Monat angenommen.)

Das pfle­ge­ri­sche Ange­bot soll­te ein­ge­bet­tet sein in ein Umfeld, das älter wer­den­de Men­schen dabei unter­stützt, ein selbst­be­stimm­tes Leben zu füh­ren und aktiv an der Gesell­schaft teil­zu­ha­ben. Das berührt einer­seits die Gestal­tung der Rah­men­be­din­gun­gen für Lebens­be­rei­che wie bar­rie­re­frei­es und alters­ge­rech­tes Woh­nen, bar­rie­re­freie Mobi­li­tät oder Enga­ge­ment­struk­tu­ren, umfasst aber auch geziel­te Ange­bo­te für Bera­tung, Begeg­nung und Unter­stüt­zung in der Nach­bar­schaft. So ent­ste­hen lebens­wer­te Quar­tie­re für alle Gene­ra­tio­nen – ob im Dorf oder im Stadt­teil. Die grü­ne Bun­des­tags­frak­ti­on schlägt daher auch vor, dass die Städ­te und Land­krei­se eine stär­ke­re Steue­rungs­funk­ti­on in der Pla­nung der pfle­ge­ri­schen Ver­sor­gung übernehmen.

VERHÄLTNIS EIGENVERANTWORTUNG – VERSICHERUNG – STAAT

Mit der Ein­füh­rung der Pfle­ge­ver­si­che­rung wur­de das Ver­hält­nis zwi­schen Eigen­ver­ant­wor­tung, ver­pflich­ten­der Vor­sor­ge via Pfle­ge­ver­si­che­rung und gesamt­ge­sell­schaft­li­cher Soli­da­ri­tät grund­le­gend neu bestimmt. Die Ent­wick­lun­gen der letz­ten rund 25 Jah­re haben zu eini­gen Ver­schie­bun­gen geführt – ins­be­son­de­re dazu, dass die Pfle­ge­kos­ten in immer höhe­rem Umfang von den Pfle­ge­be­dürf­ti­gen selbst getra­gen wer­den müs­sen. Die­ses Ver­hält­nis wird mit unse­rem Kon­zept der dop­pel­ten Pfle­ge­ga­ran­tie neu aus­ge­rich­tet sowie gerech­ter und sozia­ler aus­ge­stal­tet. Dabei behal­ten wir im Blick, dass die Inter­es­sen von Pfle­ge­be­dürf­ti­gen an einer mög­lichst umfas­sen­den Ver­sor­gung mit den eben­so berech­tig­ten Inter­es­sen der Bei­trags- und Steuerzahler*innen nach mög­lichst gerin­gen Bei­trä­gen oder Steu­ern ver­ant­wor­tungs­voll abge­wo­gen wer­den. Die mit der dop­pel­ten Pfle­ge­ga­ran­tie ver­bun­de­ne stär­ke­re Belas­tung der Beitragszahler*innen (Ver­si­cher­te und Arbeitgeber*innen) wol­len wir daher in einem ver­nünf­ti­gen Rah­men hal­ten und sehen durch­aus auch zukünf­tig für Pfle­ge­be­dürf­ti­ge einen Eigen­an­teil an den Pfle­ge­kos­ten vor.

Eigen­ver­ant­wor­tung besteht auch wei­ter­hin – neben einem Pfle­ge­ei­gen­an­teil – bei den Kos­ten von Unter­kunft und Ver­pfle­gung, denn die­se Kos­ten fal­len immer an, unab­hän­gig davon, ob jemand pfle­ge­be­dürf­tig ist oder nicht. Des­halb ist auch zukünf­tig jede*r selbst für die Kos­ten für Woh­nen und Essen ver­ant­wort­lich – egal ob zu Hau­se oder in der Pflegeeinrichtung4.

Wo das Ein­kom­men für Pfle­ge und Lebens­un­ter­halt nicht reicht, muss der Staat wie bis­her über die Kom­mu­nen („Hil­fe zur Pfle­ge“) unter­stüt­zen. Der­zeit müs­sen mehr als 30 Pro­zent der pfle­ge­be­dürf­ti­gen Men­schen in sta­tio­nä­ren Pfle­ge­ein­rich­tun­gen auf­grund klei­ner Ren­ten und gerin­gen Erspar­nis­sen „Hil­fe zur Pfle­ge“ bean­tra­gen. Die abso­lut stei­gen­de Zahl an Pfle­ge­be­dürf­ti­gen, die „Hil­fe zur Pfle­ge“ bean­tra­gen, belas­tet im bestehen­den Sys­tem zuneh­mend die Kom­mu­nen. Die­se Ent­wick­lung wol­len wir stoppen.

DER WEG ZUR DOPPELTEN PFLEGEGARANTIE

Die Idee ist ein­fach, die Umset­zung jedoch anspruchs­voll. Es sind eini­ge Schrit­te zu gehen und bis zur Voll­endung des Vor­ha­bens kann man durch­aus mit rund fünf Jah­ren rech­nen. Star­ten soll­ten wir jetzt!

Zen­tral sind struk­tu­rel­le und fach­li­che Ant­wor­ten auf die fol­gen­de Fra­ge: Wel­che Leis­tun­gen über­nimmt die Pfle­ge­ver­si­che­rung künftig? 

(Anmer­kung: 4 Die Kos­ten für Unter­kunft und Ver­pfle­gung sowie die Inves­ti­ti­ons­kos­ten betra­gen im Pfle­ge­heim durch­schnitt­lich rund 1.200 Euro/Monat.)

Bis­her steu­ert der Geld­beu­tel der Pfle­ge­be­dürf­ti­gen, wel­che Leis­tun­gen sie zusätz­lich in Anspruch neh­men. Dabei besteht der Anreiz, nur das aus der eige­nen Sicht not­wen­di­ge und damit in der Regel mög­lichst weni­ge zusätz­li­che Pfle­ge­leis­tun­gen ein­zu­kau­fen. Wenn zukünf­tig die über den fixen Betrag hin­aus nöti­gen Pfle­ge­kos­ten von der Soli­dar­ge­mein­schaft getra­gen wer­den sol­len, könn­te das ein Anreiz sein, mög­lichst vie­le – auch pfle­ge­risch nicht not­wen­di­ge – Pfle­ge­leis­tun­gen erhal­ten zu wollen.5 Damit die Kos­ten für die Pfle­ge­ver­si­che­rung und die Beitragszahler*innen im Rah­men blei­ben, wer­den bun­des­weit gel­ten­de Kri­te­ri­en not­wen­dig, die den indi­vi­du­el­len Pfle­ge­be­darf unter Berück­sich­ti­gung der Gege­ben­hei­ten vor Ort sinn­voll defi­nie­ren. Auf deren Basis wür­den dann Pfle­ge­be­dürf­ti­ge und Ange­hö­ri­ge infor­miert, bera­ten und wenn not­wen­dig durch ein mul­ti­pro­fes­sio­nel­les Case- Manage­ment beglei­tet. Für die­se Unter­stüt­zung braucht es pas­sen­de und fle­xi­ble Ange­bo­te vor Ort. Dazu gehö­ren etwa Pfle­ge­diens­te, Ange­bo­te der Tages- oder Kurz­zeit­pfle­ge oder neue For­men der Pfle­ge und Betreu­ung. Städ­te und Gemein­den sol­len eine grö­ße­re Rol­le dabei spie­len, die­se Ange­bo­te zu beför­dern oder ent­ste­hen zu lassen.

SOFORTPROGRAMM

Die mit der dop­pel­ten Pfle­ge­ga­ran­tie ver­bun­de­ne Sys­tem­um­stel­lung benö­tigt einen kon­zep­tio­nel­len Vor­lauf und lässt sich nur Schritt für Schritt flä­chen­de­ckend ein­füh­ren. Um die­ses Reform­vor­ha­ben ange­hen zu kön­nen, braucht es ein zeit­nah wir­ken­des Sofort­pro­gramm: Ers­tens sol­len Pfle­ge­be­dürf­ti­ge kurz­fris­tig und umge­hend finan­zi­ell ent­las­tet wer­den. Zwei­tens hilft ein Steu­er­zu­schuss die vor­ge­se­he­ne Sys­tem­um­stel­lung (mit)zufinanzieren und Sor­ge dafür zu tra­gen, dass zwi­schen­zeit­li­che Erfah­run­gen eva­lu­iert wer­den und wenn not­wen­dig kon­zep­tio­nell nach­ge­steu­ert wer­den kann.6Drittens wer­den die Pfle­ge­ver­si­che­rungs­bei­trä­ge kurz- und lang­fris­tig stabilisiert.

Die grüne Bundestagsfraktion schlägt als konkrete Maßnahmen vor:

Die Kos­ten für die aus medi­zi­ni­schen Grün­den not­wen­di­ge Behand­lungs­pfle­ge sol­len (wie im häus­li­chen Bereich) auch in sta­tio­nä­ren Pfle­ge­ein­rich­tun­gen durch die Kran­ken­ver­si­che­rung über­nom­men wer­den. 7 Hier­durch könn­te der Pfle­ge-Eigen­an­teil im Heim kurz­fris­tig sehr deut­lich (min­des­tens um ein Drit­tel, aktu­ell eher um die Hälf­te) gesenkt werden.8

(Anmer­kun­gen: 5 „Es ent­steht ein anreiz­theo­re­ti­sches Pro­blem des Moral Hazard, das ohne jeg­li­che nor­ma­ti­ve Begren­zung zur Wahl einer teu­ren Ver­sor­gungs­form, zur Wahl teu­re­rer Anbie­ter und zu einer Maxi­mie­rung des Kon­sums von Pfle­ge­leis­tun­gen – ver­bun­den mit einem ana­lo­gen Anstieg der Leis­tungs­kos­ten – füh­ren wird.“ S.17 Gut­ach­ten Rothgang/Kalwitzki „Alter­na­ti­ve Aus­ge­stal­tung der Pfle­ge­ver­si­che­rung – Abbau der Sek­to­ren­gren­zen und bedarfs­ge­rech­te Leis­tungs­struk­tur“ für Initia­ti­ve Pro-Pfle­ge­re­form, Mai 2017

6 So wird sich im Lau­fe der Zeit z.B. die Fra­ge stel­len, ob zusätz­lich zur vor­ge­schla­ge­nen Reform die sek­to­ra­le Tren­nung in ambu­lan­te und sta­tio­nä­re Pfle­ge auf­ge­ho­ben wer­den soll­te. Das hät­te zur Kon­se­quenz, dass es nur einen Pfle­ge­ei­gen­an­teil geben könn­te und neue „Misch­for­men“ der Ver­sor­gung ent­ste­hen. Bis­he­ri­ge Pfle­ge­hei­me bie­ten z.B. die Unter­kunft an. Die Pfle­ge wird wei­ter­hin durch den ambu­lan­ten Dienst, der die/den Pflegebedürftige*n seit Jah­ren betreut, über­nom­men. Zum (Mittag)Essen geht sie/er zum Enkel und ande­re Per­so­nen aus der Umge­bung nut­zen dafür das Mit­tag­essens­an­ge­bot im sich öff­nen­den Pflegeheim.
Sie­he Sze­na­rio 1b: Zuwahl­lo­gik Gut­ach­ten Rothgang/Kalwitzki „Alter­na­ti­ve Aus­ge­stal­tung der Pfle­ge­ver­si­che­rung – Abbau der Sek­to­ren­gren­zen und bedarfs­ge­rech­te Leistungsstruktur“

7 EA PpSG 19/5600, EA PSG III 18/10530

8 Die medi­zi­ni­sche Behand­lungs­pfle­ge (ca. 3 Mrd. Euro pro Jahr im sta­tio­nä­ren Bereich) ist sys­te­ma­tisch dem Hei­len („cure“) und nicht dem Pfle­gen („care“) zuzu­rech­nen. Solan­ge Pfle­ge­be­dürf­ti­ge in der eige­nen Häus­lich­keit leben, wird die „häus­li­che Kran­ken­pfle­ge“ von der gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung über­nom­men. Mit dem Wech­sel in ein Pfle­ge­heim geht die­ser Anspruch ver­lo­ren und die ent­spre­chen­den Leis­tun­gen sind als „medi­zi­ni­sche Behand­lungs­pfle­ge“ Teil der von der Pfle­ge­ver­si­che­rung gewähr­ten pau­scha­len Leis­tungs­be­trä­ge (§ 43 SGB XI, Abs. 2)

Es wird ein Steu­er­zu­schuss des Bun­des für die Pfle­ge­ver­si­che­rung ein­ge­führt. In der Ren­ten- sowie der Kran­ken­ver­si­che­rung bestehen Steu­er­zu­schüs­se für soge­nann­te ver­si­che­rungs­frem­de Leis­tun­gen. Das sind Auf­ga­ben, die die jewei­li­ge Sozi­al­ver­si­che­rung zu erfül­len hat, obwohl sie nicht in ihre eigent­li­che Zustän­dig­keit fal­len. Sol­che Auf­ga­ben gibt es auch in der Pflegeversicherung.9 Der Steuerzuschuss10 soll ins­be­son­de­re die sozia­le Siche­rung der pfle­gen­den Ange­hö­ri­gen finanzieren.

EINBINDUNG IN DIE GRÜNE GESAMTVISION „GUTE PFLEGE DER ZUKUNFT“

Wir wol­len die dop­pel­te Pfle­ge­ga­ran­tie, die sich mit der Leis­tungs­sei­te der Pfle­ge­ver­si­che­rung befasst, als eigen­stän­di­gen Vor­schlag debat­tie­ren. Sie könn­te unab­hän­gig von unse­ren wei­te­ren Kon­zep­ten ein­ge­führt wer­den. Gleich­zei­tig ist sie selbst­ver­ständ­lich in die grü­ne Gesamt­vi­si­on für gute Pfle­ge der Zukunft eingebunden.

Zur grü­nen Gesamt­vi­si­on gehört für die Finan­zie­rungs­sei­te der Pfle­ge­ver­si­che­rung die von uns vor­ge­schla­ge­ne Pfle­ge-Bür­ger­ver­si­che­rung. Die soli­da­ri­sche Pfle­ge- Bür­ger­ver­si­che­rung, mit der wir die Pfle­ge­ver­si­che­rung gerech­ter, sta­bi­ler und nach­hal­ti­ger finan­zie­ren, passt sehr gut zur dop­pel­ten Pfle­ge­ga­ran­tie. Die stär­ke­re Betei­li­gung der Beitragszahler*innen an den Kos­ten der dop­pel­ten Pfle­ge­ga­ran­tie wür­de damit fai­rer und soli­der finan­ziert wer­den. Aber bei­de Vor­schlä­ge sind von­ein­an­der unab­hän­gig und kön­nen jeweils eigen­stän­dig umge­setzt werden.

Ein wei­te­res Ele­ment unse­rer grü­nen Gesamt­vi­si­on „Gute Pfle­ge der Zukunft“ ist die Unter­stüt­zung pfle­gen­der Ange­hö­ri­ger und Freund*innen. Heu­te wer­den rund drei Vier­tel aller Pfle­ge­be­dürf­ti­gen zu Hau­se gepflegt, oft von Frau­en, die nicht berufs­tä­tig sind. Laut Bar­mer Pfle­ge­re­port 2018 sind gut 38 % der Haupt­pfle­ge­per­so­nen älter als 70 Jah­re, mehr als 17 % sind jün­ger als 50 Jah­re. Zwei der vier in die­sem Report am häu­figs­ten genann­ten Wün­sche von Pfle­gen­den sind eine bes­se­re Auf­klä­rung über die Leis­tun­gen und Infor­ma­tio­nen dar­über, woher sie Hil­fe bekom­men kön­nen. Hier bie­tet die dop­pel­te Pfle­ge­ga­ran­tie kla­re Ver­bes­se­run­gen. Das Case-Manage­ment als eine nied­rig­schwel­li­ge Pfle­ge­be­ra­tung vor Ort kann Pfle­gen­de dabei unter­stüt­zen. Eine direk­te Ver­bes­se­rung für berufs­tä­ti­ge Ange­hö­ri­ge oder Freund*innen, die plötz­lich mit einer Pfle­ge­be­dürf­tig­keit kon­fron­tiert wer­den, beinhal­tet unser Kon­zept der grü­nen Pfle­ge­Zeit Plus. Berufs­tä­ti­gen Ange­hö­ri­gen und Freund*innen wird eine drei­mo­na­ti­ge Aus­zeit mit Lohn­er­satz­leis­tung ermög­licht, um die Pfle­ge zu orga­ni­sie­ren. Zusätz­lich sol­len jedes Jahr zehn Tage (mit Lohn­er­satz) fle­xi­bel frei­ge­nom­men wer­den kön­nen, wenn die/der Pfle­ge­be­dürf­ti­ge Unter­stüt­zung braucht, wenn sich die Situa­ti­on ver­schlech­tert oder wenn z.B. ein Arzt­be­such oder ein Kran­ken­haus­auf­ent­halt ansteht.

(Anmer­kun­gen: Satz 1. Die­se 1996 ein­ge­führ­te Rege­lung war bis 1999 befris­tet und mit einem aus­drück­li­chen Prüf­auf­trag ver­se­hen. 1999, 2001 und 2005 wur­de sie (mit Prüf­auf­trag) ver­län­gert. 2007 wur­de sie ohne ech­te Prü­fung für dau­er­haft erklärt. Vgl. Roth­gang Stel­lung­nah­me Anhö­rung PpSG

9 Die Kos­ten der ver­si­che­rungs­frem­den Leis­tun­gen im sozia­len Zweig der Pfle­ge­ver­si­che­rung betra­gen laut Schät­zun­gen des Dach­ver­bands der Pfle­ge- und Kran­ken­kas­sen (GKV-Spit­zen­ver­band) 2,7 Mil­li­ar­den Euro pro Jahr.

10 Aktu­ell soll er dem sozia­len Zweig der Pfle­ge­ver­si­che­rung zugu­te­kom­men, da deren Risi­ko­struk­tur deut­lich kos­ten­in­ten­si­ver ist als im pri­va­ten Zweig. Sobald eine Pfle­ge-Bür­ger­ver­si­che­rung ein­ge­führt ist, soll­te der (in Anleh­nung an Rege­lun­gen bei der Kin­der­er­zie­hung) dazu die­nen, Ren­ten­ver­si­che­rungs­bei­trä­ge von pfle­gen­den Ange­hö­ri­gen übernehmen.)

Einen wich­ti­gen Platz in der grü­nen Gesamt­vi­si­on „Gute Pfle­ge der Zukunft“ neh­men die Arbeits­be­din­gun­gen und die Bezah­lung pro­fes­sio­nell Pfle­gen­der ein. Kurz­fris­tig for­dern wir eine bes­se­re, nach ein­heit­li­chen Kri­te­ri­en fest­ge­leg­te, per­so­nel­le Aus­stat­tung in Pfle­ge­ein­rich­tun­gen. Dafür wol­len wir – wie auch im Rah­men der „Kon­zer­tier­ten Akti­on Pfle­ge“ vor­ge­schla­gen – eine ver­bind­li­che am Pfle­ge­be­darf ori­en­tier­te (Min­dest- )Per­so­nal­aus­stat­tung im sta­tio­nä­ren Bereich einführen.11 Die Anrech­nung von Aus­zu­bil­den­den auf den Per­so­nal­schlüs­sel in der sta­tio­nä­ren Lang­zeit­pfle­ge soll gestri­chen wer­den. Wir set­zen uns dafür ein, dass der Bund die (Alten-)Pflegeschulen bei der Umset­zung der Aus­bil­dungs­re­form unter­stützt, und wol­len über die Bun­des­agen­tur für Arbeit die Wei­ter­qua­li­fi­zie­rung von Pflegehelfer*innen zu Pfle­ge­fach­kräf­ten för­dern. Wir unter­stüt­zen die Gewerk­schaf­ten, Kir­chen und Arbeitgeber*innen dar­in, bis Ende 2019 eine tarif­li­che oder ver­gleich­ba­re Bezah­lung in allen Ein­rich­tun­gen der Lang­zeit­pfle­ge zu ver­an­kern, die die Pfle­ge­tä­tig­kei­ten ange­mes­sen ent­lohnt und ihrer gesell­schaft­li­chen Bedeu­tung gerecht wird. Die­se Ent­loh­nung muss für alle Beschäf­tig­ten gel­ten, auch für ent­sand­te Pfle­ge­kräf­te aus der EU.12 Auch über sol­che all­ge­mein ver­bind­lich erklär­ten Tarif­ver­trä­ge soll­te es mög­lich wer­den, den Pfle­ge­be­ruf so attrak­tiv zu gestal­ten, damit die heu­ti­gen Pro­ble­me mit Leih­ar­beit in der Pfle­ge über­wun­den wer­den kön­nen. Ist dies nicht der Fall, soll­ten wei­te­re Maß­nah­men bei der Leih­ar­beit in der Pfle­ge ergrif­fen wer­den, um pro­ble­ma­ti­sche Ten­den­zen ein­zu­däm­men. Gleich­zei­tig müs­sen die Arbeits­be­din­gun­gen in der Pfle­ge ver­läss­li­cher und bes­ser wer­den. Hier­zu gehö­ren auch fle­xi­ble Arbeits­zeit­mo­del­le und Schicht­plä­ne, die den Beschäf­tig­ten eine grö­ße­re Zeit­sou­ve­rä­ni­tät ermög­li­chen. Wir for­dern daher die Kam­mern und Anbie­ter­zu­sam­men­schlüs­se auf, ver­stärkt Fort­bil­dun­gen u.a. zur Ver­bes­se­rung der Arbeits­or­ga­ni­sa­ti­on oder der För­de­rung des Wie­der­ein­stiegs anzu­bie­ten. Von moder­nen Kon­zep­ten der Pfle­ge im Stadt­teil oder Dorf ver­spre­chen wir uns zudem für Pfle­ge­fach­kräf­te inter­es­san­te neue Ein­satz­ge­bie­te (z.B. Gemein­de­pfle­ge oder der an der Nach­bar­schaft anset­zen­de, selbst­or­ga­ni­sier­te Ansatz aus den Nie­der­lan­den Buurtz­org), die zu mehr Attrak­ti­vi­tät des Pfle­ge­be­rufs bei­tra­gen können.

Wir set­zen auf ein abge­stimm­tes Mit­ein­an­der von pri­va­ter Pfle­ge und pro­fes­sio­nel­ler Fach­pfle­ge, das die Nach­bar­schaft ein­be­zieht, sei es durch Unter­stüt­zungs­an­ge­bo­te der Woh­nungs­bau­ge­nos­sen­schaf­ten, Tages­an­ge­bo­te von Wohl­fahrts­ver­bän­den, frei­wil­lig Enga­gier­te, teil­sta­tio­nä­re Ange­bo­te oder Pfle­ge­hei­me, die ein offe­ner Ort für alle wer­den. Wir set­zen auf ein bun­tes Spek­trum, das das Leben im Quar­tier oder Kiez für alle Gene­ra­tio­nen lebens­wert macht. Damit dies gelingt, braucht es vie­le: Kom­mu­nen inklu­si­ve Sozi­al­raum­pla­nung, Sozi­al­ver­si­che­run­gen, Wohl­fahrts­ver­bän­de und Unter­neh­men (die pro­fes­sio­nel­le Pfle­ge und/oder haus­halts­na­he Dienst­leis­tun­gen anbie­ten), Woh­nungs­bau­ge­nos­sen­schaf­ten, Ver­ei­ne und ande­re Orga­ni­sa­tio­nen, die gemein­sam an einem Strang zie­hen. Wenn man die Rea­li­tät betrach­tet, erscheint dies für vie­le Kom­mu­nen noch ein wei­ter Weg. Und doch ist es im Grun­de der Ansatz, den Bun­des­tag und Bun­des­rat bei der Ein­füh­rung der Pfle­ge­ver­si­che­rung 1995 als „gemein­sa­me Ver­ant­wor­tung“ in Para­graph 8 des SGB XI fest­ge­legt haben.13

(Anmer­kun­gen: 11 Hier­zu sol­len die Ergeb­nis­se des Pro­jek­tes zur Ent­wick­lung und Erpro­bung eines Per­so­nal­be­mes­sungs­ver­fah­rens gemäß § 113c SGB XI zum Aus­gangs­punkt genom­men werden.

12 Hier­bei ist sicher­zu­stel­len, dass die Ver­gü­tung von in der Lang­zeit­pfle­ge ein­ge­setz­ten Pfle­ge­kräf­ten nicht hin­ter die im Kran­ken­haus zurück­fällt, da ansons­ten – ins­be­son­de­re wenn die gene­ra­lis­tisch aus­ge­bil­de­ten Pfle­ge­kräf­te auf den Markt kom­men – ein Sog ins Kran­ken­haus unaus­weich­lich erscheint.

13 § 8 Abs. 1 SGB XI: „Die pfle­ge­ri­sche Ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung ist eine gesamt­ge­sell­schaft­li­che Auf­ga­be.“ Absatz 2 kon­kre­ti­siert dies: „Die Län­der, die Kom­mu­nen, die Pfle­ge­ein­rich­tun­gen und die Pfle­ge­kas­sen wir­ken unter Betei­li­gung des Medi­zi­ni­schen Diens­tes eng zusam­men, um eine leis­tungs­fä­hi­ge, regio­nal geglie­der­te, orts­na­he und auf­ein­an­der abge­stimm­te ambu­lan­te und sta­tio­nä­re pfle­ge­ri­sche Ver­sor­gung der Bevöl­ke­rung zu gewähr­leis­ten. Sie tra­gen zum Aus­bau und zur Wei­ter­ent­wick­lung der not­wen­di­gen pfle­ge­ri­schen Ver­sor­gungs­struk­tu­ren bei; das gilt ins­be­son­de­re für die Ergän­zung des Ange­bots an häus­li­cher und sta­tio­nä­rer Pfle­ge durch neue For­men der teil­sta­tio­nä­ren Pfle­ge und Kurz­zeit­pfle­ge sowie für die Vor­hal­tung eines Ange­bots von den die Pfle­ge ergän­zen­den Leis­tun­gen zur medi­zi­ni­schen Reha­bi­li­ta­ti­on. Sie unter­stüt­zen und för­dern dar­über hin­aus die Bereit­schaft zu einer huma­nen Pfle­ge und Betreu­ung durch haupt­be­ruf­li­che und ehren­amt­li­che Pfle­ge­kräf­te sowie durch Ange­hö­ri­ge, Nach­barn und Selbst­hil­fe­grup­pen und wir­ken so auf eine neue Kul­tur des Hel­fens und der mit­mensch­li­chen Zuwen­dung hin.“ )

DIE DOPPELTE PFLEGEGARANTIE – KONKRETE UMSETZUNGSELEMENTE

Zentrale Stellschrauben, um die doppelte Pflegegarantie zu realisieren

Die Leis­tun­gen im sozia­len und im pri­va­ten Zweig der Pfle­ge­ver­si­che­rung blei­ben – wie bis­her auch – iden­tisch. Die Prei­se sol­len gemein­sam ver­han­delt wer­den. Der pri­va­te Zweig der Pfle­ge­ver­si­che­rung muss zukünf­tig ver­bind­lich in die neu­en Steue­rungs­gre­mi­en ein­be­zo­gen werden.14

Zusätz­lich zur bestehen­den Ein­grup­pie­rung in Pfle­ge­gra­de muss eine sys­te­ma­ti­sche, nach fest­ge­leg­ten Vor­ga­ben vor­ge­nom­me­ne Erhe­bung und Bewer­tung des kon­kre­ten indi­vi­du­el­len Pfle­ge­be­darfs erfol­gen, da der Pfle­ge­grad nur bedingt etwas über die Art der jewei­li­gen Ein­schrän­kung aus­sagt und das Begut­ach­tungs­ver­fah­ren kei­ne Bedar­fe erhebt. Die­se Auf­ga­be soll von einem Case-Manage­ment über­nom­men wer­den, das von der Pfle­ge­ver­si­che­rung finan­ziert, aber unab­hän­gig von ihr agie­ren kann, die Situa­ti­on vor Ort kennt und für Pfle­ge­be­dürf­ti­ge leicht zugäng­lich ist. Zu prü­fen ist, wie bestehen­de Struk­tu­ren, die über ent­spre­chend qua­li­fi­zier­tes Per­so­nal ver­fü­gen, genutzt und dafür umge­baut wer­den kön­nen. Anknüp­fungs­punk­te fin­den sich ins­be­son­de­re bei Pfle­ge­stütz­punk­ten sowie beim Medi­zi­ni­schen Dienst der Kran­ken­kas­sen (MDK)15 und bei Medicproof16. Die durch das Case-Manage­ment fest­ge­leg­ten Pfle­ge­be­dar­fe soll­ten ver­bind­lich sein.

Damit das Case-Manage­ment nach mög­lichst ein­heit­li­chen Regeln und Kri­te­ri­en erfolgt, benö­ti­gen wir zur Fest­le­gung und über­grei­fen­den Steue­rung der von der Pfle­ge­ver­si­che­rung zu über­neh­men­den Leis­tun­gen einen bun­des­wei­ten Rah­men, für den der Qua­li­täts­aus­schuss Pfle­ge zustän­dig sein soll. Die Auf­ga­ben des Qua­li­täts­aus­schus­ses Pfle­ge müs­sen dafür erwei­tert und die Geschäfts­stel­le ent­spre­chend aus­ge­stat­tet wer­den. Die Zusam­men­set­zung ist zu über­prü­fen und ein unpar­tei­ischer Vor­sitz dau­er­haft einzuführen17. Für die fach­li­che Zuar­beit soll ein dem Qua­li­täts­aus­schuss zuge­ord­ne­tes For­schungs­in­sti­tut gegrün­det werden.

In der Pfle­ge muss ein ver­bind­li­ches, am Bedarf ori­en­tier­tes Per­so­nal­be­mes­sungs- instru­ment ein­ge­führt wer­den und alle Beschäf­tig­ten müs­sen min­des­tens tarif­lich bezahlt wer­den. Das schafft auf der einen Sei­te bes­se­re Arbeits­be­din­gun­gen für Pflege(fach- )kräf­te und stärkt die Posi­ti­on der Anbieter*innen im Wett­be­werb um Arbeitskräfte. 

(Anmer­kun­gen: 14 Aktu­ell kann der Ver­band der pri­va­ten Kran­ken­ver­si­che­rer eine*n Vertreter*in in den Qua­li­täts­aus­schuss ent­sen­den (§113 b (2) Satz 3 SGB XI). Die­se Mög­lich­keit wird vom Ver­band der pri­va­ten Kran­ken­ver­si­che­rer genutzt.

15 Für den sozia­len Zweig der Pfle­ge­ver­si­che­rung tätig.16 Für den pri­va­ten Zweig der Pfle­ge­ver­si­che­rung tätig.

17 Dabei sind die Dis­kus­sio­nen im Zusam­men­hang des Gemein­sa­men Bun­des­aus­schus­ses über die Reprä­sen­tanz und die demo­kra­ti­sche Legi­ti­ma­ti­on zu berücksichtigen.)

Auf der ande­ren Sei­te ver­min­dert es Pfle­ge­satz­un­ter­schie­de zwi­schen den Bun­des­län­dern und wür­de daher den Ost-West-Trans­fer inner­halb der Pfle­ge­ver­si­che­rung reduzieren.18

Die Kos­ten von Pfle­ge, Unter­kunft und Ver­pfle­gung sowie Inves­ti­tio­nen müs­sen in allen sta­tio­nä­ren Ein­rich­tun­gen bun­des­weit nach ein­heit­li­chen Kri­te­ri­en von­ein­an­der abge­grenzt wer­den. Das ist ins­be­son­de­re für die Ver­tei­lung von Gemein­kos­ten (z.B. Heim­lei­tung, Buch­hal­tung, Qua­li­täts­ma­nage­ment, Sozi­al­dienst) rele­vant. Ziel ist es, dass in allen Bun­des­län­dern nach ein­heit­li­chen Grund­sät­zen zwi­schen den von der Ver­si­che­rung zu tra­gen­den Kos­ten der Pfle­ge und den von den Ein­zel­nen zu über­neh­men­den Kos­ten für Unter­kunft und Ver­pfle­gung sowie Inves­ti­tio­nen unter­schie­den wird.

Zum Start der dop­pel­ten Pfle­ge­ga­ran­tie schla­gen wir, wie es aktu­ell Pra­xis ist, unter­schied­li­che Eigenanteile19 für die ambu­lan­te (nied­ri­ger) und sta­tio­nä­re Pfle­ge (höher) vor, da in der häus­li­chen Pfle­ge die nicht­fi­nan­zi­el­le Betei­li­gung der Fami­lie und des Umfel­des höher ist. Zusätz­lich sol­len im ambu­lan­ten Bereich von der Pfle­ge­ver­si­che­rung maxi­mal die durch­schnitt­li­chen Kos­ten über­nom­men wer­den, die bei einer Unter­brin­gung in einer sta­tio­nä­ren Pfle­ge­ein­rich­tung anfal­len wür­den. Ver­hin­dert wer­den soll damit eine rein for­ma­le „Ambulantisierung“20, die an der Ver­sor­gung der Pfle­ge­be­dürf­ti­gen nichts ver­bes­sern, den Anbieter*innen aber höhe­re Ein­nah­men ermög­li­chen würde.

DIE ROLLE VON KOMMUNEN FÜR PFLEGE VOR ORT NEU DENKEN 

Wel­che Leis­tun­gen die Pfle­ge­ver­si­che­rung über­nimmt, hat bis heu­te gro­ße Aus­wir­kun­gen auf das Ange­bot. Oft reicht die­ses Ange­bot aber nicht aus. Die dop­pel­te Pfle­ge­ga­ran­tie ist in der Pra­xis nur erfolg­reich, wenn es vor Ort aus­rei­chen­de, fle­xi­ble und unter­ein­an­der abge­stimm­te Ver­sor­gungs­an­ge­bo­te gibt.

Des­halb schlägt die grü­ne Bun­des­tags­frak­ti­on vor, dass Land­krei­se und Städ­te eine stär­ke­re Steue­rungs­funk­ti­on in der Pla­nung der pfle­ge­ri­schen Ver­sor­gung über­neh­men. Die­se Steue­rung soll­te in eine kom­mu­na­le Sozi­al­raum­pla­nung inte­griert sein, die Pfle­ge, Alten­hil­fe, bür­ger­schaft­li­ches Enga­ge­ment, sozia­le Arbeit und Wohnungs(bau)politik umfasst. In die Pla­nung der Land­krei­se sol­len die Gemein­den und Ver­bän­de par­ti­zi­pa­tiv ein­ge­bun­den und insti­tu­tio­nell ein­be­zo­gen werden. 

(Anmer­kun­gen: 18 Durch die im sozia­len Zweig der Pfle­ge­ver­si­che­rung bestehen­de Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze tra­gen Ver­si­cher­te mit Ein­kom­men unter­halb die­ser Gren­ze pro­zen­tu­al in höhe­rem Umfang zur Finan­zie­rung der Pfle­ge­ver­si­che­rung bei als Per­so­nen mit Ein­kom­men ober­halb die­ser Gren­ze. Die Ein­kom­men in den öst­li­chen Bun­des­län­dern sind im Durch­schnitt gerin­ger als in den west­li­chen, des­we­gen ist ihre pro­zen­tua­le Belas­tung höher. Im Wes­ten dage­gen sind die Ein­kom­men der Pfle­ge­kräf­te deut­lich höher. Wenn bei­des unver­än­dert bleibt und zukünf­tig alle über den gede­ckel­ten Pfle­ge­ei­gen­an­teil hin­aus­ge­hen­den Kos­ten von der Ver­si­che­rung über­nom­men wür­den, wür­den Ver­si­cher­te aus den öst­li­chen Bun­des­län­dern zusätz­lich finan­zi­ell belas­tet und die Pfle­ge­ver­si­che­rung wür­de gleich­zei­tig, wegen der gerin­ge­ren Lohn­kos­ten, für die­sel­ben Leis­tun­gen im Osten weni­ger als im Wes­ten zahlen.

19 Die genaue Höhe hängt von direk­ten (Case Manage­ment, Erwei­te­rung Qua­li­täts­aus­schuss, Auf­bau Insti­tut) und indi­rek­ten Kos­ten (mehr Leis­tun­gen im ambu­lan­ten Bereich, Teil­ver­schie­bung aus dem „grau­en“ in den offiziellen/regulierten Pfle­ge­markt) ab, die für die Umstel­lung anfal­len, und ob unser vor­ge­schla­ge­nes Sofort­pro­gramm umge­setzt wird.

20 Gemeint sind hier­mit z.B. Ange­bo­te, die für Außen­ste­hen­de und Pfle­ge­be­dürf­ti­ge nicht von einem Pfle­ge­heim zu unter­schei­den sind. Sie wer­den oft­mals als Wohn­grup­pen geführt, weil damit zum einen gerin­ge­re Anfor­de­run­gen zu erfül­len sind (fal­len nicht unter die Heim­auf­sicht) und sie zum ande­ren bei der Kran­ken- und Pfle­ge­ver­si­che­rung mehr Leis­tun­gen abrech­nen kön­nen. Die­se Ange­bo­te wer­den unse­rem Anspruch an die ambu­lan­te Ver­sor­gung, dass Pfle­ge­be­dürf­ti­ge im ver­trau­ten und selbst­ge­wähl­ten Umfeld Woh­nen blei­ben kön­nen, nicht gerecht.)

Die Kom­mu­nen wol­len wir stär­ker in die Pflicht neh­men, sich um ein viel­fäl­ti­ges pfle­ge­ri­sches Ange­bot zu küm­mern, das den Wün­schen und Bedar­fen älte­rer Men­schen ent­spricht und in eine gute Infra­struk­tur ein­ge­bun­den ist.

Die Kom­mu­nen wür­den durch die dop­pel­te Pfle­ge­ga­ran­tie bei der „Hil­fe zur Pfle­ge“ wei­ter ent­las­tet. Die Kos­ten für die „Hil­fe zur Pfle­ge“ san­ken durch die Ein­füh­rung der Pfle­ge­ver­si­che­rung im Jahr 1995 auf 36 % der ursprüng­li­chen Sum­me und betru­gen 2015 nur 57 % der Aus­ga­ben von 1995. 21 Anders als vor 25 Jah­ren muss die Bun­des­po­li­tik gemein­sam mit Län­dern und Kom­mu­nen nun einen Weg fin­den, wie alle Gemein­den aktiv wer­den und für ein viel­fäl­ti­ges pfle­ge­ri­sches Ange­bot und lebens­wer­te Quar­tie­re für alle Gene­ra­tio­nen sor­gen kön­nen. Je fle­xi­bler der Pfle­ge- und Hil­fe­be­darf abge­deckt wer­den kann, des­to eher kön­nen Pfle­ge­be­dürf­ti­ge ihren Wunsch ver­wirk­li­chen, in der eige­nen Häus­lich­keit zu blei­ben. Gleich­zei­tig wür­den hier­durch die Haus­hal­te der Sozi­al­hil­fe­trä­ger ent­las­tet, da „Hil­fe zur Pfle­ge“ ins­be­son­de­re Heimbewohner*innen bean­tra­gen müssen.

Die grü­ne Bun­des­tags­frak­ti­on schlägt zur Stär­kung der Kom­mu­nen bei der Pla­nung und Gestal­tung der pfle­ge­ri­schen Struk­tur vor Ort vor:

Das Recht für Kom­mu­nen, Pflegestützpunkte22 zu initi­ie­ren, wird dau­er­haft ver­an­kert. Wir befür­wor­ten die schritt­wei­se Ein­füh­rung einer bun­des­weit ein­heit­li­chen Richt­grö­ße für die Personalausstattung23. Bei der Erar­bei­tung der kon­kre­ten Auf­ga­ben und Kon­zep­te sind Betrof­fe­nen­ver­bän­den zu beteiligen.

Die Steue­rungs- und Pla­nungs­kom­pe­tenz der Land­krei­se und kreis­frei­en Städ­te für die regio­na­le Pfle­ge­struk­tur wird gestärkt. Als ers­ten Schritt schla­gen wir vor, im SGB XI den Bun­des­län­dern die Fest­schrei­bung einer ver­bind­li­chen Kreis- und Gemein­de­pfle­ge­be­darfs­pla­nung in den Lan­des­ge­set­zen zu ermög­li­chen und eine jähr­li­che Bericht­erstat­tung über die bestehen­den Ange­bo­te und Anbie­ter zu ver­an­kern. Als zwei­ten Schritt unter­stüt­zen wir die For­de­rung des Land­kreis­tags, die Kreis­pfle­ge­be­darfs­pla­nung ver­pflich­tend bei der Zulas­sung von sta­tio­nä­ren Pfle­ge­ein­rich­tun­gen und ambu­lan­ten Pfle­ge­diens­ten zu berücksichtigen.24

Die vor Ort für die Pfle­ge­be­darfs­pla­nung rele­van­ten Daten wer­den flä­chen­de­ckend zur Ver­fü­gung gestellt. Dabei ist zu über­prü­fen, wel­che Anga­ben in der Pfle­ge­sta­tis­tik nach §109 SGB XI ergänzt und für wel­che Berei­che regio­nal dif­fe­ren­zier­te Moni­to­rings zur Ver­fü­gung gestellt wer­den können. 

(Anmer­kun­gen: 21

 

Empfänger*innen

davon sta­tio­när

Net­to­aus­ga­ben

davon sta­tio­när

1995 (vor PV)

574.000

365.000

6,264 Mrd. €

5,754 Mrd. €

1998

289.000

205.000

2,284 Mrd. €

1,894 Mrd. €

2015

451.000

327.000

3,569 Mrd. €

2,593 Mrd. €

Die frei wer­den­den Gel­der soll­ten laut § 9 SGB XI von den Trä­gern der Sozi­al­hil­fe zur „finan­zi­el­len För­de­rung der Inves­ti­ti­ons­kos­ten der Pfle­ge­ein­rich­tun­gen“ ein­ge­setzt werden.

22 Wir prä­fe­rie­ren eine Trä­ger­kom­bi­na­ti­on (Kom­mu­ne, Pfle­ge­kas­sen, Kran­ken­kas­sen), die als Anlauf­stel­le für Bera­tun­gen zu SGB XI, SGB V und Sozi­al­hil­fe dient und mög­lichst dezen­tral Bera­tung anbietet.

23 Mit dem Ziel, wie in Rhein­land-Pfalz min­des­tens eine Voll­zeit­stel­le auf 30.000 Bewohner*innen zu haben.

24 Dafür muss ein kon­kre­tes, mög­lichst ein­heit­li­ches Pla­nungs­mo­dell (Gerüst mit Min­dest­an­for­de­run­gen) für alle Bun­des­län­der erar­bei­tet und ein­ge­führt wer­den. Wir prä­fe­rie­ren eine gemein­sa­me Steue­rung von Land­krei­sen bzw. kreis­frei­en Städ­ten und Pfle­ge­kas­sen, um bun­des­weit rela­tiv ein­heit­li­che Pla­nungs­prin­zi­pi­en zu gewährleisten.

Die­se erfor­der­li­chen Daten sol­len vom Sta­tis­ti­schen Bun­des­amt sowie den Sta­tis­ti­schen Lan­des­äm­tern nicht nur wie bis­her auf die Land­krei­se­und kreis­frei­en Städ­te, son­dern auch auf Gemein­den, Stadt­tei­le und Quar­tie­re her­un­ter­ge­bro­chen zur Ver­fü­gung gestellt wer­den. In der Pfle­ge­sta­tis­tik soll­ten Ver­glei­che für zen­tra­le Aspek­te nicht nur auf der Ebe­ne der Län­der, son­dern (wie bis 2011 Pra­xis) auf der Ebe­ne der Krei­se publi­ziert wer­den. Die Daten sol­len in einem For­mat bereit­ge­stellt wer­den, das einen ein­fa­chen Ver­gleich zwi­schen Kom­mu­nen ermöglicht.

DIE DOPPELTE PFLEGEGARANTIE: PLÄDOYER FÜR EIN NEUES DENKEN DER PFLEGEVERSICHERUNG | 12

07/2019 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
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